Wir, die Netzkinder, war einer der Texte, der sich in den letzten Monaten sehr schnell im Netz verbreitet hatte, weil der polnische Dichter Piotr Czerskier, die Stimmungslage einer Generation sehr gut eingefangen hatte.
Nicht weniger Interessant ist ein Beitrag des Rechtswissenschaftlers und Philosophen Konstantin Sakkas, der im SWR erschienen ist: “Generation Gesamtkunstwerk – Die Dreißigjährigen von heute” (Gelesen etwa 30 Minuten oder hier als Manuskript (PDF).
Der Text macht einmal mehr deutlich, warum sich eine Bewegung wie die der Piraten, nicht mit kostenlosen Musikdownloads, Urheberrechtsdebatten und Internet erklären lässt. Es geht dabei um einen langfristigen Kulturwandel, der neue Rahmenbedingungen braucht. Eine Generation, die in der Selbstbestimmtheit aufgewachsen ist:
Dieser Individualismus gilt in allen Lebensbereichen. Deshalb ist auch die klassische Trennung von Beruf und Privatleben, von politischer und persönlicher Haltung für unsere Generation hinfällig geworden. Dass die „fetten Jahre“ eines behaglichen Wirtschaftswachstums und einer ebenso behaglichen, sehr kompromissbereiten privaten Lebensgestaltung vorbei sind, ist für uns aber keineswegs eine Bedrohung; im Gegenteil: es ist die historisch ziemlich einmalige Chance, sein Leben abgekoppelt von allen Dogmen und Ideologemen frei und selbstbestimmt zu gestalten.
Sakkas geht im weiteren Text auf die Herausforderungen ein, denen eine sich wandelnde Gesellschaft gegenübersteht. Er spricht von der Generation der Freelancer, die nicht nur aus Zwang, sondern aus Überzeugung einen selbstbestimmten Weg einschlägt, neue Familienkonstrukte erschafft und politische eine komplett eigenständige Haltung einnimmt:
Unsere politische Haltung, wie unsere Selbst- und Welthaltung überhaupt, ist welthaft, nicht weltlos: orientiert an der Spontaneität des individuellen Handelns und seiner unmittelbaren jeweiligen Bezogenheit auf die politischen, sozialen und natürlichen Phänomene, die uns umgeben.
Nicht idealistisch im kindhaften, vorreflexiven Sinne von Anti-Atomkraft-Aktivisten oder Stuttgart-21-Gegnern; aber auch nicht schnöde-materialistisch wie die klassischen, auf krummen Seilschaftspfaden aufgestiegenen Politfunktionäre der deutschen Provinz; sondern pragmatisch-idealistisch, beseelt vom Gedanken des echten, unbescholtenen Menschseins, aber immer auf dem Qui vive, immer on the spot gegenüber der Realität und deshalb nicht in der Versuchung, sich zum Sklaven einer bestimmten Realität zu machen, die in dieser Bestimmtheit, in dieser Form vielleicht nur in der trüben Einbildung dessen besteht, der sich mit ihr nur halb auseinandergesetzt hat und den sie deshalb heillos überfordert.
Unsere Maxime ist die Maxime des Horaz: uns die Dinge, nicht den Dingen untertan machen.
Die Politik verpasst bisher in vielen Bereichen auf die Bedürfnisse der ersten Generation einer beginnenden Epoche zu reagieren und versucht stattdessen, den Status Quo zu halten und alte Denkmuster anzuwenden. Dabei wäre die Chance wohl momentan so groß wie nie, wirkliche Veränderungen anzustoßen.
Der gesprochene Text weicht leider an manchen Stellen deutlich vom PDF-Manuskript ab und lohnt sich daher mehr, da er einige Aspekte klarer auf den Prunkt bringt.
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