Wie schwer sich Politik mit den neuen Gegebenheiten einer digitalen Welt tut, zeigt sich an einem geplanten und vermeintlichen Gesetzesverstoß der Bundeskanzlerin.
Für Ende April hat das Kanzleramt einen Hangout, also eine Videokonferenz der Kanzlerin mit einer Hand voll Bürger angekündigt. Eigentlich ein schöner und zeitgemäßer Versuch wenigstens etwas mehr Transparenz und Bürgernähe zu erreichen.
Allerdings haben dabei selbst die Juristen im Kanzleramt übersehen, dass die vorgeschriebene Gesetzeslage noch etwas hinterher hinkt und das Vorhaben, zwar technisch problemlos und für jedermann selbstverständlich ist, womöglich aber gegen den eigentlich längst überholten Rundfunkstaatsvertrag verstößt.
Die Medienanstalt Berlin Brandenburg hat dazu eine Pressemeldung veröffentlicht:
Die Bundeskanzlerin hat angekündigt am 19. April einen Live-Chat zum Thema Integration zu veranstalten. Diese Ankündigung wirft rundfunkrechtlich und medienpolitisch zwei Fragen auf:
Erstens: Braucht man für einen solchen Live-Chat eine Rundfunklizenz, weil eine unbestimmte Vielzahl von Bürgern gleichzeitig erreicht werden kann, der Inhalt eine publizistische Relevanz hat, und dem Angebot eine Sendeplanung zu Grunde liegt?
Zweitens: Wäre eine solche Sendelizenz mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks vereinbar, wie er vom Bundesverfas-sungsgericht in seinem ersten Fernseherurteil zum Projekt des Adenauerfernsehens entwickelt worden ist?
Diese Fragen treten keinesfalls zum ersten Mal auf. So sendet das Fernsehen des Deutschen Bundestages zwar nicht mehr überregional über Satellit. Auf der Website des Deutschen Bundestags gibt es aber durchaus journalistisch gestaltete Inhalte, die dem Nutzer auf Abruf bereitstehen. Außerdem werden online Live-Sendungen angekündigt und angeboten, wie die Übertragung der Lesung der Rede von Otto Wels zum Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes durch Ulrich Matthes.
Auch die Sitzungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ sind regelmäßig nach einem transparenten Zeitplan im Internet übertragen worden und haben damit interessierten Bürgern Gelegenheit gegeben, sich an der Arbeit zu beteiligen.
Ähnliche Zielsetzungen verfolgen die Live Übertragungen der Berliner Fraktionssitzungen der Piraten.
Alle Fälle machen deutlich, dass es um einen völlig anderen Sachverhalt geht als die Planung des Adenauerfernsehens für ein zweites deutsches Fernsehprogramm. Es geht um die Öffentlichkeitsarbeit von Verfassungsorganen im Zeitalter des Internets.
Die Medienanstalten sind dennoch gehalten, das geltende Recht anzuwenden, und sie stimmen sich bei der Bewertung konkreter Fälle ab. Eine abschließende Aussage der mabb zu dem geplanten Vorhaben der Bundeskanzlerin kann es deshalb derzeit nicht geben.
„Die genannten Fälle sollten ein Anstoß für eine aktuelle medien- und netzpolitische Diskussion zu Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter des Internets sein. Sie sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Rundfunkordnung zu einer Medienordnung weiterzuentwickeln, die überholte Unterscheidungen überwindet“, erklärt der Direktor der mabb, Dr. Hans Hege.
Die Bestimmung der Grenzen staatlicher Betätigung darf sich angesichts der Konvergenz der Medien und der wirtschaftlichen Veränderungen durch das Internet nicht auf den Rundfunk beschränken.
Den Stein ins Rollen gebracht hat Gunnar Sohn mit einer Anfrage bzgl. einer fehlenden Sendelizenz der Bundeskanzlerin. Zeigen tut es, dass es höchste Zeit wird veraltete Regelungen umfassend einer digitalisierte Gesellschaft anzupassen.