Bayern-FDP launcht den “New Democracy”-Piraten

von Steffen Greschner am 25. Juli 2012

Es ist immer wieder beeindruckend, welche Bewegung aktuell in der Neugestaltung demokratischer Prozesse ist. In Karlsruhe hat man die Bundesregierung zum demokratischen Nachsitzen geschickt, während sich die FDP in Bayern von den Piraten inspirieren lässt und unter dem Titel “New Democracy” eine neue Onlineplattform zur Mitgliederbeteiligung testet:

“New Democracy” setzt neue Maßstäbe bei der Beteiligung von Öffentlichkeit und Mitgliedern an der inhaltlichen Arbeit der Partei. Das System ermöglicht einen  unkomplizierten, demokratischen und offenen Dialog und bietet neue Wege des politischen Engagements.

Die FDP war schon immer Vorreiter bei der Mitglieder- und Bürgerbeteiligung: Als einzige Partei hat sie die die Möglichkeit eines Mitgliederentscheids über Sachfragen in der Satzung verankert. Als erste Partei stellt sie seit 2002 ihr Bundestagswahlprogramm vor der Verabschiedung online allen Bürgern zur Diskussion.  Die FDP Bayern macht nun den nächsten Schritt und startet „New Democracy“.

Die Plattform ermöglicht die einfache Erstellung, Bearbeitung, Diskussion und Abstimmung über Anträge. Der Landesfachausschuss für Netzpolitik hat das System im Pilotversuch erprobt und erarbeitet damit den netzpolitischen Teil des liberalen Landtagswahlprogramms. New Democracy wird künftig auch anderen Gremien und Gliederungen der FDP Bayern zur Verfügung stehen.

Der Pressevorstoß und die Hofberichterstattung von WeltOnline, stößt Christoph Lauer dagegen sauer auf. Lauer ist wohl einer der lautesten Berliner Piraten und Verfechter der dort eingesetzten Beteiligungssoftware “Liquid Feedback“. Sein heutiger Blogbeitrag ist lesenswert:

Die ND-Pressekonferenz der bayrischen FDP ist außer nem Marketingstunt also nichts gewesen. Was wirklich schmerzt ist aber, dass so eine Show unkritisch in die Mainstreammedien einzieht. Zu behaupten ND hätte auch nur irgendwas mit LiquidFeedback oder LiquidDemocracy zu tun ist in etwa so, als würde ich einen Bobbycar als Atom-U-Boot verkaufen.

Wir haben uns selbst noch kein Bild der New Democracy Software gemacht, werden das aber in den nächsten Tagen nachholen. Die Software selbst wird von einem Verein namens “Liberale Basis e.V.” in Umlauf gebracht.

Lässt man die System- und Parteistreitigkeiten außen vor, zeigt der Schritt der FDP aber deutlich, wie tief die Themen Mitsprache, Bürgerbeteiligung und Transparenz inzwischen in den politischen Köpfen verwurzelt sind.

ePetition gegen Zwangsrente ermutigt Jungunternehmer

von Steffen Greschner am 24. Juli 2012

Die öffentliche Petition gegen eine fragwürdig definierte Rentenpflicht für eine immer stärker wachsende Zahl junger Freiberufler und Selbstständiger, hatte für einigen Wirbel gesorgt. Über 80.000 hatten die Petition mitgezeichnet.

Letzte Woche war der Initiator der Petition, Tim Wessels, im Gespräch mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Die Ergebnisse scheinen durchaus positiv, wie der Spiegel heute Andreas Lutz, einen weiteren Teilnehmer der Gesprächsrunde zitiert:

Im Ministerium denkt man inzwischen über einkommensabhängige Beiträge am unteren Ende nach. Wir haben gefordert, dass Selbständigen am Monatsende nicht weniger Geld bleiben darf als Angestellten mit vergleichbarem Verdienst. Auch darf es nicht dazu kommen, dass bestehende Altersvorsorgemaßnahmen aufgelöst werden müssen, um dann einen neuen, teuren Versicherungsvertrag zu schließen.

In dem Interview mit der Überschrift “Firmengründer werden systematisch entmutigt“, geht es um einen wichtigen Punkt. Die falsche Wahrnehmung junger Selbstständiger in der Öffentlichkeit:

Die Rhetorik gegenüber Selbständigen muss sich verändern. Entweder wird vom Prekariat geredet, das besser gleich aufgeben soll. Oder man geht von Unternehmern mit unendlich viel Geld aus, so dass man immer weitere Abgaben draufsatteln kann. Zwischen diesen Extremen gibt es aber Millionen Selbständige, die Stützen der Gesellschaft sind, die mehr arbeiten als die meisten Angestellten. Deshalb platzt uns Selbständigen der Kragen.

Selbstsändigkeit hat für weite Teile einer jungen Generation heute nicht mehr den Nimbus des Großunternehmers, sondern ist schlichtweg eine Alternative in einer Gesellschaft Fuß zu fassen, indem eigene Ideale und Kreativität vorangetrieben werden.

Diese Energie gilt es zu nutzen. Allerdings hat man leider oft den Eindruck, dass der Politik viel mehr daran gelegen ist, diese Entwicklung mit Nachdruck zu stoppen und die wachsende Kreativität in alte Muster zurück zu zwingen.

Kulturwandel in Gemeinden: “Open Mind vor Open Data”

von Steffen Greschner am 23. Juli 2012

Kremsmünster ist in Österreich die Vorreitergemeinde, was den Umgang mit Transparenz gegenüber dem Bürger angeht. Auf der E-Government-Messe 2012 in Graz hat Reinhard Haider, der Amtsleiter der Marktgemeinde, einen Satz gesagt, der in jeder Amtsstube an der Wand stehen sollte:

“Open Mind vor Open Data, denn viele Gemeinden haben bei der Information der Bürger noch einen Aufholbedarf.” Einige Beispiele: nur rund die Hälfte aller Gemeinden in Österreich bieten den Bürgern die Gemeinderatsprotokolle zum Download an, nur jede zwölfte Gemeinde verlinkt auf der Homepage auf Soziale Netzwerke und betreibt diese aktiv, ein Diskussionsforum bieten gar nur sechs Prozent aller Gemeinden.

In Deutschland sieht es diesbezüglich wohl kaum besser aus. Bevor bundesweite Diskussionen über “Open Data” und “Open Government” geführt und rein technisch getriebene App-Wettbewerbe ausgetragen werden – muss das Verständnis und der Wechsel hin zu einer transparenten Informations- und Datenkultur zuerst einmal in den Köpfen von Bürgermeistern, Gemeinderäten und Verwaltungsmitarbeitern stattfinden.

Lokalpolitik 2.0: Den Bürgern eine starke Lobby geben

von Steffen Greschner am 22. Juli 2012

[x Politics] schreibt immer Sonntags einen Gastbeitrag für unsere Partner von istlokal.de, ein Netzwerk verlagsunabhängiger Lokalnachrichten-Blogs. Durch die Lokalisierung werden manche Entwicklungen deutlicher und besser verständlich. So auch der geschichtsträchtige Versuch in Friesland mit “Liquid Friesland” den Bürgern eine eigene Lobby zu geben. Der Artikel ist bisher am Tegernsee und in Weinheim erschienen:

Den Bürgern eine starke Lobby geben

Weinheim/Rhein-Neckar, 19. Juli 2012. (red/la/tegernseerstimme.de) Morgen findet der “Bürgerdialog” zum Gewerbegebiet Breitwiesen statt. Deutschlandweit wächst der Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung – nicht nur in Weinheim. Wir stellen daher einen Beitrag unseres bayerischen Partnerblogs “Tegernseer Stimme” vor, der auch für Weinheim und andere Gemeinden in der Region Denkanstöße bietet. Viel Spaß beim Kennenlernen dieser interessanten Variante der Bürgerbeteiligung.

Von Steffen Greschner

Die Suche nach neuen Formen der Bürgerbeteiligung beschäftigt die Politik. Landauf, landab wird nach Möglichkeiten gesucht, den Menschen eine Stimme zu geben. Egal, ob am Tegernsee, in Berlin oder in Weinheim. Selbst die Bundeskanzlerin traf sich vergangene Woche beim Dialog über Deutschland mit Bürgern, um deren Ideen und Wünsche zu diskutieren.

Der Wunsch, sich einzubringen und gehört zu werden, wächst – auch im hohen Norden, in Friesland, hat man darauf reagiert. Möglicherweise eine wegweisende Entwicklung für die Lokalpolitik der Zukunft.

Bürgerbeteiligung darf nicht nur Alibi sein

Vieles davon wird als Alibidebatte angesehen, als eine Möglichkeit, lediglich das Gefühl zu vermitteln, mitsprechen zu können. Einmal diagonal durch Deutschland, weit entfernt vom Tegernseer Tal oder Weinheim, wie es weiter nicht geht, passiert dagegen etwas, was zukunftsweisend für die Lokalpolitik werden könnte: In Friesland wird ab Herbst dieses Jahres die Beteiligungssoftware “Liquid Feedback” eingesetzt.

Liquid Feedback ist eine Software, die es ermöglicht, in Echtzeit und gemeinsam an neuen Ideen und Dokumenten zu arbeiten und über bestehende Vorschläge abzustimmen. In einem auf ein Jahr begrenzten Pilotprojekt soll den Friesländern unter dem Projektnamen Liquid Friesland so eine direkte politische Beteiligung in ihrem Landkreis ermöglicht werden.

In der letzten Woche haben bereits der Spiegel, die TAZ, das Hamburger Abendblatt und viele andere Medien darüber berichtet. Das Mutigste und Cleverste an dem ostfriesischen Projekt versteckt sich aber in der Beschlussvorlage, die am 11. Juli dem Kreistag zur Abstimmung vorgelegt wurde (PDF). In der Vorlage ist ein Kunstgriff gelungen, der die Entscheidungsfindung in der Lokalpolitik dauerhaft verändern könnte. Ohne irgendetwas an bestehenden Gesetzen und Verfassungen zu ändern, hat man eine Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung geschaffen, die eigentlich lange überfällig war:

  • Die Organisation zusätzlicher Bürgerbeteiligung mit Online-Instrumenten hat deshalb zu gewährleisten, dass dieser faktische Einfluss auf der einen Seite abgebildet wird und gleichzeitig die gesetzlich vorgegebenen Entscheidungsregeln (formale Beschlüsse durch Kreisgremien) nicht ausgehebelt werden. Dieses beachtend, schlägt die Kreisverwaltung für wichtige Themen in eigener Zuständigkeit des Landkreises, die Belange der örtlichen Gemeinschaft betreffen, vor:
  • Vorlagen für die Gremien, parallel in “Liquid Feedback” zur Diskussion und Abstimmung zu stellen und so ein Meinungsbild zu erzeugen und
  • Initiativen aus dem Nutzerkreis, die im Internet die erforderlichen Quoren gewonnen haben, als Anregung nach § 34 NKomVG und § 8 Abs. 4 der Hauptsatzung des Landkreises Friesland zu behandeln.

Was da so trocken klingt, ist eine wirklich spannende Lösung, die auch in der Metropolregion Rhein-Neckar funktionieren würde und einige Debatten und Diskussionen sicherlich positiv verändern könnte.

Man muss sich den Vorgang folgendermaßen vorstellen: Der Gemeinderat tagt wie bisher auch. Mit dem Unterschied, dass alle Beschlussvorlagen einige Zeit vor der Sitzung bereits im Netz einsehbar sind und von interessierten Bürgern diskutiert werden können. Die Bürger selbst können also neue Vorschläge oder Änderungswünsche einbringen. Am Ende wird von den Bürgern über die anstehenden Punkte der nächsten Sitzung abgestimmt.

Ergebnisse der Bürgerabstimmung sind nicht verbindlich

Die Ergebnisse der Bürgerabstimmung sind allerdings weder für das Rathaus noch für den Gemeinderat in irgendeiner Art und Weise verbindlich. Aber in Friesland hat man sich verpflichtet, die Bürgermeinung vor jeder Abstimmung in den Gemeinderäten zu verkünden. Die Meinung der Bürger bekommt damit formal einfach nur den gleichen Stellenwert wie beispielsweise die offiziellen Stellungnahmen des Bund Naturschutz, die Stellungnahme der Schutzgemeinschaft oder anderer Lobbygruppen, wie sie beispielsweise bei Bauvorhaben vorgetragen werden.

In der Realität sähe das so aus: Bevor die Gemeinderäte in Weinheim beispielsweise über das Schicksal der Breitwiesen entschieden hätten, wäre bereits von den Weinheimer Bürgern darüber abgestimmt worden. Es wären wohl Gegenvorschläge ausgearbeitet und ebenfalls diskutiert und darüber abgestimmt worden. Am Ende, im Gemeinderat, wird die Meinung der Bürger vor der Abstimmung verkündet: “Beteiligt haben sich xy Bürger. xy % stimmten für JA, xy % für NEIN. xy % würden für JA stimmen, wenn man folgende Änderungen in den Beschluss übernimmt.”

Den Bürgern eine eigene Lobby geben

Welche Auswirkungen das auf die Entscheidungen haben kann, wird man in Friesland mitverfolgen können. Klar ist aber, dass die Meinung der Menschen so viel schwerer ignoriert werden kann. Außerdem ergibt sich die Chance, dass kleine Projektgruppen interessierter Bürgern jederzeit eigene Ideen und Vorschläge ausarbeiten können. Finden sich dafür genügend Unterstützer aus der Bevölkerung, die den Vorschlag mit JA bewerten, muss der Vorschlag auch in den Gemeinderäten diskutiert werden. Wie die Räte darüber am Ende entscheiden, bleibt natürlich den gewählten Vertretern überlassen.

Ohne direkt und rechtlich verbindlich mitbestimmen zu können, wird der “Lobby der Bürger” durch die Bekanntgabe der aktuellen Stimmungsbilder also ein sehr hoher “emotionaler” und vor allem dauerhafter Stellenwert eingeräumt und nicht erst bei Bürgerentscheiden und Protestaktionen – die jede Menge Nerven und Zeit kosten und in Weinheim den Steuerzahlter aktuell 40.000 Euro für den “Bürgerdialog”.

Dagegen wird sich kein Lokalpolitiker auf Dauer verwehren können. Aus dem einfachen Grund: Rechtlich verbindlich oder nicht – kein Politiker stellt sich schließlich gerne, und in Friesland in Zukunft sogar wissentlich, gegen die Mehrheit seiner potenziellen Wähler.

Wer sich einer umfassenden Bürgerbeteiligung verschließt, muss sich hingegen fragen lassen, ob er nicht wissen möchte, was seine Wählerinnen und Wähler wollen.

Jochen Krisch von Exciting Commerce hat den – öffentlich und an der Gewerkschaft vorbei organisierten - Kampf der Neckermann-Onliner gegen die Insolvenz weiter verfolgt. Leider hat das Engagement außerhalb der Gewerkschaften nichts gebracht:

Neckermann hat auch beim Untergang noch einmal das Unmögliche möglich gemacht. Oder wer hätte sich jemals vorstellen können, dass Gewerkschaftsvertreter die Insolvenz eines Unternehmens seiner geordneten Weiterführung vorziehen würden?

Der “Aufstand der [Online-]Beschäftigten”, wie es die Frankfurter Rundschau nannte, kam zu spät, obwohl schon relativ früh deutlich wurde (siehe Streik zur Unzeit: Wann reichts den Neckermann-Investoren?), dass die “Bemühungen” der Gewerkschaften in jedem Fall auf Kosten der Onliner gehen würden, die das Unternehmen in die Zukunft führen sollten.

Unter dem aktuellen und dem ersten Artikel hat sich eine spannende Diskussion entwickelt, in der auch der Sprecher der Online-Belegschaft, seine Sichtweise klarstellt:

Es ist leider wahr. Wir sind alle erschüttert. Wir hatten heute Morgen noch einmal eine große Unterschriftenaktion gestartet, an der sich unglaublich viele MitarbeiterInnen beteiligt haben, und in der wir unseren Mehrheitsgesellschafter eindringlich baten, dem gestern mühsam errungenen Kompromiss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen zuzustimmen.

Leider hat sich Sun Capital anders entschieden, und wir kennen die genauen Hintergründe für diese Entscheidung nicht wirklich.

Mir tut es sehr leid für alle hier bei neckermann.de, insbesondere für die, die gerade in den letzten Tagen auf allen Seiten so gekämpft, verhandelt und sich so unglaublich engagiert für einen Fortbestand des Unternehmens eingesetzt haben.

Da ich ein unverbesserlicher Optimist bin, hoffe ich nun, dass dieses Unternehmen im Rahmen des entstehenden Verfahrens eine neue Chance bekommt.

Danke auch an alle, die sich aufgrund von Jochens Beitrag spontan bei mir /uns gemeldet haben und uns Glück gewünscht und uns unterstützt haben!

Wenn man sich die Entwicklung anschaut, wird das nicht das erste und nicht das letzte Mal sein, dass sich Belegschaftsteile, die sich nicht mehr von den alten Institutionen vertreten sehen, selbst organisieren.

Was auf den ersten Blick zu Streit und einer Schwächung von Betriebsrat und Gewerkschaften führt, ist auf den zweiten Blick die logische und in die Zeit passende Demokratisierung innerhalb hierarchischer Unternehmensstrukturen. (Unternehmensführung 2.0: Demokratie statt Betriebsrat)

Wie die Organisation hierarchiefreier Unternehmen aussehen kann, hatten wir schon einmal dargestellt.

Baden-Württemberg für verbindliche Bürgerbeteiligung

von Steffen Greschner am 21. Juli 2012

Die Grün-Rote Landesregierung in Baden-Württemberg zählt als Vorreiter, was die Entwicklung neuer Beteiligungsformen in der Landespolitik betrifft.

Als erstes Bundesland will Baden-Württemberg jetzt Bürgerbeteiligung verbindlich auf der mittleren Regierungsebene einführen, wie die dpa über unzählige Baden-Württembergische Zeitungen berichtet:

Bislang gebe es Vorgaben für Bürgerbeteiligung nur auf kommunaler Ebene oder ohne Verbindlichkeit. Erler will vom kommenden Jahr an verpflichtende Regeln für Ministerien, Regierungspräsidien und Landratsämter. »Dabei geht es um die Bürger, die betroffen und interessiert sind«, sagte die 66-Jährige. Als Praxisbeispiele, bei denen die neuen Vorgaben angewandt werden könnten, nannte sie Planungen im Straßenbau, beim Netzausbea für die Energiewende sowie bei der Schulentwicklung. So soll die Elternbeteiligung beim Thema Gemeinschaftsschule verbindlich werden.

Der Wunsch der Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Gisela Erler: bessere Aufbereitung der Dokumentengrundlage für Entscheidungen; die finanzielle Einbeziehung von Bauprojekt-Investoren bei anstehenden Beteiligungsverfahren; klare und verbindliche Regelungen der Beteiligungsformen.

Das erinnert stark an den Vorstoß, den Baden-Württemberg vor einigen Monaten bereits im Bundesrat startete und scheiterte. (Gesetzentwurf zur Öffentlichkeitsbeteiligung: Baden-Württemberg forderte mehr Internet und Transparenz)

Aus Kreisen der Verwaltung hört man allerdings auch einigen Unmut über den Versuch die Beteiligungsformen “von Oben” zu erzwingen, was Erler aber durchaus bewusst ist:

»Um es mal überspitzt zu sagen, waren viele immer froh, wenn möglichst wenig Leute erschienen sind. Andererseits gab es auch schon immer die Fälle, in denen sich Bürgermeister und Regierungspräsidenten dem Volk gestellt haben und Prügel bezogen.«
(..)
»Viele klagen über zu wenig Personal und empfinden Bürgerbeteiligung eher als Belastung.«

Die Grundrichtung der Landesregierung in Baden-Württemberg scheint damit aber ein weiteres Mal gefestigt. Nicht zuletzt durch die klaren Vorgaben des Ministerpräsidenten.

Automatisierte Arbeit: Chance für Maschinensteuern?

von Steffen Greschner am 19. Juli 2012

Ein spannendes Thema, das noch wenig Stellenwert in der öffentlichen Diskussion einnimmt, ist die Entwicklung hin zur allumfassenden Automatisierung. Längst werden nicht mehr nur Produktionsabläufe automatisiert, sondern auch immer mehr “Denkarbeiten” werden von Software übernommen.

In der FAZ stellt Frank Rieger vom Chaos Computer Club die richtige Frage: Müssen Roboter unsere Rente bezahlen?

Gegen einen Umbau zur roboterfreundlichen Gesellschaft ist die aktuelle Energiewende ein vergleichsweise kleines Unterfangen. Es geht schließlich an die Grundfesten ökonomischer und gesellschaftlicher Dogmen. Die Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende ist daher ein Projekt von historischen Dimensionen. Sie bietet jedoch – im Gegensatz zu praktisch allen anderen Szenarien – eine positive Utopie, die langfristige soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität garantiert und die Würde des Menschen wahrt.

Diese Entwicklung zeigt, dass die alten Diskussionen um eine Maschinensteuer, bzw. eine Wertschöpfungsabgabe nicht für immer vom Tisch sind. Einen guten Einstieg in das Thema bietet das Video “Geschichte der Automatisierung – Robot-Job” der Bundeszentrale für politische Bildung NRW.

Wenn man die Chancen begreift, müsste diese Entwicklung eigentlich ein Grund zur Freude, anstatt zur Sorge sein. Lassen wir doch “unsere Maschinen” für uns arbeiten.

Bedingungsloses Grundeinkommen, keine Sozialleistung

von Steffen Greschner am 19. Juli 2012

Oft wird ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) als neue Sozialleistung missverstanden, was viele Diskussionen dazu in die Irre führt. Ein sehr viel differenzierterer Artikel erscheint in der August-Ausgabe des “Kerbe – Magazin für Sozialpsychiatrie“. Der Artikel ist bereits als PDF abrufbar:

Von der Wiege bis zur Bahre ein Einkommen, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen? Beim Bedingungslosen Grundeinkommen handelt es sich nicht um ein weiteres sozial- oder arbeitsmarktpolitisches Instrument zur „Bekämpfung“ von Arbeitslosigkeit oder Armut. Der Vorschlag setzt anders an, leitet die Bereitstellung einer Geldleistung von der Wiege bis zur Bahre aus der Stellung der Bürger im Gemeinwesen her und lässt dadurch andere Möglichkeiten aufscheinen. Erwerbstätigkeit wäre nicht mehr höchster Zweck, es bliebe Einzelnen überlassen, sich ins Gemeinwesen einzubringen. Ein Wolkenkuckucksheim?

Der Artikel geht sehr gut auf die grundsätzliche Neuausrichtung einer Gesellschaftsorganisation ein, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen mit sich bringen würde.

Dass darin nicht alle alles nur positiv sehen und wie das BGE in Berlin schon fast “Realität” ist, hat die FAZ in einem sehr unterhaltsamen Artikel dargestellt. (Digitale Bohème – Diese verflixten 1.000 Euro)

Neckermann Onliner kämpfen öffentlich um ihre Zukunft

von Steffen Greschner am 17. Juli 2012

Unser Schwesterblog Exciting Commerce hat anhand der drohenden Neckermann-Pleite dargestellt, wie schwer sich traditionelle Institutionen im Umgang mit einer sich ändernden Welt tun:

“Das ist Kapitalismus in Reinkultur”, tönte es letzte Woche in Sachen Neckermann.

Während die Gewerkschaften sich mit der (Online-)Welt zunehmend schwer tun und sich mit frühkapitalistischen Parolen gegen den Strukturwandel stemmen, haben zum Wochenende die Onliner bei Neckermann selbst die Initiative ergriffen, um die nahende Insolvenz doch noch abzuwenden.

Mit einem sehr couragierten Interview wendet sich als Sprecher Sven Selle an die Öffentlichkeit:

Neckermannsale

“Neckermann läuft die Zeit davon. Das ist das Schlimmste. Es muss nun wirklich schleunigst etwas geschehen.

Ich gehöre einer Gruppe von Mitarbeitern an, die als Vertreter einer spontanen Initiative agieren, und wir versuchten von Anfang unserer Aktion an schlichtweg zu vermitteln.

Wir haben das ganze Wochenende über beraten. Und dann haben wir entschieden: Wir gehen an die Öffentlichkeit, egal, was das für uns persönlich bedeutet.”

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau beschreibt er den “Aufstand der Beschäftigten” nach der Betriebsversammlung am letzten Donnerstag und kritisiert das Vorgehen der Gewerkschaft, die auf Maximalforderungen besteht und am Betriebsrat vorbei die alleinige “Deutungshoheit in der Öffentlichkeit” übernommen habe.

Ziel der Initiative ist es, die Verhandlungen wieder ergebnisoffener zu gestalten.

Lokale Netz-Öffentlichkeit hilft Transparenz zu lernen

von Steffen Greschner am 17. Juli 2012

Der Tegernsee ist eines der Gebiete, auf die wir von x Politics einen genaueren Blick werfen. Der Grund: Mit der Tegernseer Stimme berichtet dort seit zwei Jahren eine verlagsunabhängige (online)Lokalzeitung und regt damit viele lokale Debatten und Diskussionen an (BR-QUER Fernsehtipp: [x Politics] als Auslöser für Fernsehbeitrag zu fehlender Transparenz am Tegernsee).

Im Herbst letzten Jahres hatte sich dort massiver Wiederstand gegen den Neubau eines Hotels und eines Golfplatzes gebildet, der in einem Bürgerentscheid endete. Auf der Tegernseer Stimme hatte sich die Stimmung damals in vielen hundert Kommentaren und vielen neutralen, redaktionellen Beiträgen kanalisiert.

Diese Erfahrung einer neuen Öffentlichkeit hat den Investor wohl zum Umdenken gebracht, wie wichtig Transparenz auch in lokalen Bauvorhaben ist. Unter der Überschrift: “Lanserhof: auf Videotour mit dem Investor” hat er heute aktiv über den Baufortschritt, Probleme und Gründe für Verzögerungen informiert:

An sich keine große Sache. Aber das Beispiel zeigt einmal mehr, wie sich zum einen neue Öffentlichkeit bildet und wie damit umgegangen werden kann. Nicht nur in der großen Politik, sondern gerade auch im Lokalen, bei den Betroffenen vor der Haustüre.