Kommunen hängen Bund bei Transparenzdenken ab

von Steffen Greschner am 6. Juni 2012

Eine spannende Studie hat das Institut der F.A.Z und die Beratungsgesellschaft steria mummert Consulting veröffentlicht. Im Branchenkompass 2012 Public Services, wurden Entscheider aus Kommunal-, Landes- und Bundesbehörden befragt, wie sie das Thema Open Government und Transparenz einschätzen und welche Maßnahmen bis 2014 konkret geplant sind.

63% der Kommunen aber nur 36% der Bundesbehörden sehen das Thema als wichtig an.

Interessant ist die sehr unterschiedliche Einschätzung, bzw. das Transparenzdenken, zwischen Kommunen und Bundesbehörden, wie in der Pressemeldung deutlich wird:

Deutschlands Ämter wollen sich durch Maßnahmen im Umfeld von Open Data oder Open Government den Bürgern mehr öffnen. 53 Prozent der Verwaltungs-entscheider halten diese größere Verwaltungstransparenz für sinnvoll. So können verstärkt ausgewählte Datenbestände über das Internet bereitgestellt und die Bürger stärker auf neuen Wegen in Entscheidungen eingebunden werden. Die größte Zustimmung findet der frei verfügbare Datenzugang in den Kommunen, die geringste in Bundesbehörden.
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So bieten Behörden den Bürgern an, sich über das Internet aktiv in die Stadtplanung einzumischen und Rückmeldungen zu geben, etwa über städtebauliche Zustände vor Ort. Die öffentliche Verwaltung nutzt auf diese Weise auch das Potenzial des „Crowd Sourcing“, das eine völlig neue Form der Arbeitsteilung ermöglicht. Im Ergebnis stehen 63 Prozent der Kommunen den verschiedenen Open-Government-Maßnahmen und dem damit verbundenen Potenzialen durchweg positiv gegenüber.
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Im Vergleich betrachten 36 Prozent der Bundesbehörden die Öffnung von Regierung und Verwaltung gegenüber der Bevölkerung und der Wirtschaft wohlwollend, ..

In Bundesbehörden ist der Transparenzgedanke laut Studie vor allem deswegen niedriger, da die Daten dort “sensibler” und datenschutzrechtliche Bedenken dadurch höher sind.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob der Ansatz, Transparenz hauptsächlich auf Bundeseben zu diskutieren, der richtige ist. Eventuell kommt man weiter, wenn man dort damit anfängt, wo es die Menschen direkt betrifft: Auf lokaler Ebene, sozusagen direkt vor der Haustüre.

Wie aus Transparenz am Ende eine Rollstuhlrampe wird

von Steffen Greschner am 30. Mai 2012

Manchmal ist es schwierig, Politik zu verstehen. Egal, ob im Kleinen oder Großen. Bestes Beispiel ist das, was sich innerhalb des letzten halben Jahres am Tegernsee zugetragen hat. Und wie am Ende aus der Chance, Transparenz in der Lokalpolitik zu leben, eine Rollstuhlrampe wurde.

Aber von Anfang: [x Politics] schreibt immer Sonntags einen Gastbeitrag auf der Tegernseer Stimme. In einem Gastbeitrag vom 25. Oktober 2011 ging es um folgendes Thema: Transparente Politik: Wie die kleine Gemeinde Seelbach anderen zeigt, was die Zukunft ist - der Artikel zeigte auf, wie eine kleine Gemeinde im Schwarzwald mit 5.000 Euro Jahresbudget SeelbachTV,  einen Livestream der Gemeinderatssitzungen, ins Netz bringt. Unterstützt durch Schüler der örtlichen Realschule.

Eine nachfolgende Presse-/Rechercheanfrage der Tegernseer Stimme an die fünf betroffenen Talgemeinden, wie man denn zu dem Thema “Liveberichterstattung” generell stehe, wurde kurzerhand zu einer offiziellen Anfrage an den Gemeinderat umgedeutet. Aufgeschreckt durch solch unerhörter Transparenzanfragen, haben daraufhin alle fünf Talgemeinden das Thema in den nächsten Sitzungen zur Abstimmung gestellt.

Am 22. November 2011 war es dann so weit. Die Gemeindeordnung in Bad Wiessee wurde, vollkommen überstürzt und unerwartet, dahingehend geändert, dass nicht nur Livestreams ins Internet, sondern ALLE Arten von Liveberichterstattung aus öffentlichen Gemeinderatssitzungen verboten wurden. In den übrigen vier Talgemeinden hat man den “Antrag” ebenfalls abgelehnt – immer einstimmig und immer in nichtöffentlichen Sitzungen, hinter verschlossenen Türen:

Im Tegernseer Tal steht die Zeit manchmal still. Und manchmal dreht sie sich sogar zurück, wie am letzten Dienstag im Wiesseer Gemeinderat. Denn dort hat man kurzerhand die Gemeindeordnung an die neuen Medien “angepasst”. Verboten ist neuerdings jegliche Art von Liveberichterstattung.

Bedeutet nicht nur Bild- und Tonaufnahmen sind in den öffentlichen Sitzungen nicht erlaubt, sondern zukünftig auch Textübertragungen.

Passen Sie also auf, dass Sie keine SMS aus einer der nächsten Gemeinderatssitzungen schreiben oder über ihr Handy etwas in ihr Facebook-Profil posten. Ihnen droht der Rauswurf. Möglicherweise auch schlimmeres.

Nochmal im Klartext: Wer also am Tegernsee seit letztem Herbst aus einer, wohlgemerkt öffentlichen Gemeinderatssitzung twittert, SMS oder Email schreibt, auf Facebook postet oder irgendwie zur Außenwelt Kontakt aufnimmt, fliegt raus. Punkt.

Das sorgte am Tegernsee wiederum für einigen Wirbel, viele hitzige Diskussionen und zu einem Protestbrief der Piratenpartei Oberbayern an den Gemeinderat:

Die Piraten im Landkreis Miesbach fragen sich, warum öffentliche Sitzungen nicht öffentlich übertragen werden sollen? Damit werden Bürger der Gemeinde, die an der persönlichen Teilnahme verhindert sind, seien es familiäre, berufliche oder gar gesundheitliche Gründe, von den Versammlungen ausgeschlossen.

Das war zwischen Oktober 2011 und Januar 2012. Also vor gut sechs Monaten. Seither war Ruhe.

Ja, bis letzte Woche, als es mal wieder eine Gemeinderatssitzung am Tegernsee gab. Da waren dann folgende Worte des Bürgermeisters Georg von Preysing zu hören:

Als wir den Antrag der Tegernseer Stimme auf Live-Berichterstattung abgelehnt haben, hatten wir das auch damit begründet, dass jeder Bürger zu den Sitzungen kommen kann. Für behinderte Menschen ist das derzeit aber nicht möglich. Und wer weiß, vielleicht erwischt es auch mal einen von uns.

Das war die Einleitung zur danach folgenden Schildbürgerstreich Tegernseer Transparenzoffensive. Nochmal zur Erinnerung: Angefangen hatte alles mit einem Artikel über eine Schwarzwälder Gemeinde, die für 5.000 Euro Jahresbudget die Gemeinderatssitzungen live ins Internet Überträgt.

Das Ergebnis daraus nach sechs Monaten:

Nun wurde einstimmig eine Zwei-Stufen-Treppenlösung (Anm: in den Sitzungssaal) verabschiedet, die sich per Knopfdruck in eine Hebebühne verwandelt. Der Vorteil dabei: der Rollstuhfahrer kann die Lösung alleine bedienen und ist auf keinen weiteren Helfer angewiesen. Die Kosten sind derzeit noch offen, dürften sich aber im Bereich von etwa 10.000 Euro bewegen.

Puh. Man freut sich für die Rollstuhlfahrer. Die Entscheidung, für einen barrierefreien Zugang zu sorgen, ist natürlich richtig und wichtig. Man fragt sich aber schon, was in den Köpfen vor sich geht, dass man sich so gegen Transparenz verwehrt und gleichzeitig doch selbst erkennt, dass etwas im Argen liegt.

Aber immerhin ist einmal mehr der Beweis erbracht, dass verlagsunabhängige Grass-Root-Medien durchaus in der Lage sind etwas zu bewegen und zu verändern. Auch wenn aus gedachten Transparenzoffensiven eben Rollstuhlrampen werden.

Zusatz: Das Projekt SeelbachTV wurde inzwischen vom Baden Württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten gegen den Willen der Gemeinde und aller Beteiligter gestoppt.

Belohnung statt Strafe: der Like-Button einer Gesellschaft

von Steffen Greschner am 30. Mai 2012

In der Organisation einer Gesellschaft werden Steuerungsmöglichkeiten meist durch Strafen angegangen: es werden Strafen verhängt, wenn sich Arbeitslose NICHT bewerben, wenn NICHT rechtzeitig die Steuer überwiesen wird, wenn der neue Wohnort NICHT fristgerecht angemeldet wird.

Einen anderen Weg gehen zwei Testprojekte in Holland: Anstelle einer Maut, die als Strafe für die Straßenbenutzung erhoben wird, bekommen Autofahrer dort eine Belohnung, wenn sie die Straße nicht nutzen (Spiegel Online):

Je weniger man also zu den Stoßzeiten fährt, desto mehr bleibt am Monatsende als Belohnung auf der “S-Box” übrig – bis zu hundert Euro können Pendler in den Niederlanden so verdienen.

Es ist die Anti-Maut, der Gegenentwurf zur Autobahngebühr, wie sie in vielen anderen europäischen Ländern längst Gang und Gäbe ist und auch schon seit einer Ewigkeit in Deutschland diskutiert wird. Statt für die Nutzung zu bezahlen, gibt es für die Nicht-Nutzung bestimmter Autobahnen in Holland einen Geld-Betrag.

Wenn man sich im Marketing umschaut, scheint man dagegen schon lange erkannt zu haben, dass Belohnung besser funktioniert als Strafe. Dort gibt es unzählige Bonussysteme, Cash-Back-Aktionen, Stammkundenrabatte, Treuepunkte oder online auch unzählige nichtmonetäre Belohnungssysteme zur Motivation.

Hätte Facebook nicht den Like-Button, mit dem der eigene Freundeskreis das eigene Handeln belohnen kann, würde dort wohl kaum jemand aktiv und gerne etwas einbringen. Einen demotivierenden Dislike-Button gibt es genau deswegen nicht.

Da stellen sich die Fragen:

  • Wie könnte er aussehen, der Like-Button einer Gesellschaft?
  • Wie könnte ein für die Gemeinschaft positives Handeln belohnt werden?
  • Was könnte das Cash-Back-System eines Staates sein?
  • Wie könnte eine Gesellschaft Treuepunkte vergeben?

Die alljährlich ausgehändigten Verdienstkreuze und Auszeichnungen durch Bund, Städte und Gemeinden sind es sicher nicht. Orden als Like-Button ziehen wohl nicht mehr. Der Lohnsteuerausgleich als Cash-Back-Aktion macht eher Bauchweh, als Freude.

Es tut sich was im Land und sogar im tiefsten Bayern. Seit dem die Piraten immer höhere Umfragewerte bekommen, ist auch den letzten klar geworden, dass man Themen, wie Transparenz, Teilhabe und “das Internet” nicht länger ignorieren kann.

Was jetzt aber, nur wenige Kilometer von der CSU-Trutzburg in Wildbad-Kreuth entfernt, auf einer CSU-Versammlung zu hören war, verwundert selbst uns. Der Landtagsabgeordnete und Vorsitzende der CSU-Oberbayern, Alexander Radwan, schwört die kleinsten Ortsverbände auf Transparenz. Partizipation und Internet ein, wie die Tegernseer Stimme berichtet:

Ungewohnte Töne aus der CSU. Auf der gestrigen Rottacher Mitgliederversammlung hat der Landtagsabgeordnete Alexander Radwan eine spannende Analyse der Piratenpartei präsentiert und die anwesenden CSUler auf das Internet und die Notwendigkeit von Transparenz im politischen Betrieb eingeschworen.

Radwan ging dabei auch auf die jüngsten Erfolge und das Potential der Piraten ein. ”Die Piratenpartei hat den Nerv der Menschen getroffen. Vor einigen Monaten waren bundesweit noch etwa 12 Prozent der Bürger für die Piraten. Fragt man heute, ob sich die Wähler vorstellen könnten die Piraten zu wählen, antworten 30% mit Ja.”

Kein Ausverkauf des geistigen Eigentums

Wenn voraussichtlich am 15. September nächsten Jahres die Bayerische Landtagswahl über die Bühne geht, müsse man als CSU sehr wachsam sein und sich entsprechend positionieren. Die Ergebnisse dürften laut Radwan auch Auswirkungen auf die Kommunalwahl im März 2014 haben. Und dabei kann man die Piraten und die damit einhergehenden “Netz-Themen” wie Urheberrecht, Transparenz oder Netzregulierung nicht außen vor lassen.

Auch Thomas Forche (Vorsitzender der CSU Rottach-Egern, stehend) sprach über die Herausforderungen des Internets.

Das Internet erleichtert den Zugang zu Informationen. Allerdings gelte es auch differenziert damit umzugehen. Speziell das geistige Eigentum ist laut Radwan ein vor allem für deutsche Firmen schützenswertes Gut. “Wir können in Deutschland nur mithalten, wenn wir Innovationen herstellen. Wenn diese allerdings kopiert werden können, verlieren wir diesen Vorsprung und die Investitionen.”

Mehr Transparenz in der Politik

Die Gründe für den Erfolg der Piratenpartei sieht Radwan vor allem im Bereich der Transparenz. Die Piraten würden nicht vorgeben alles zu wissen, sondern weisen immer daraufhin, dass Entscheidungen offen kommuniziert und transparent verabschiedet werden müssten. “Das ist ein immer wichtigeres Bedürfnis der Bürger und auch wir in der CSU müssen dafür sorgen, dass das was im politischen Prozess abläuft auch in der Öffentlichkeit ankommt.”

Ein großes Stück mehr Transparenz und vor allem eine deutlich verbesserte Kommunikation im Netz, das sind nicht nur für Radwan wichtige Stellschrauben erfolgreicher Politik. Auch Thomas Forche, der Vorsitzende der Rottacher CSU will im kommunalen Bereich immer stärker ins Netz. Das Internet, aber auch Plattformen wie facebook seien seiner Meinung nach die Zukunft und damit auch nicht mehr wegzudenken. “Wir werden alle Mitglieder informieren und dann auch gemeinsam entscheiden in welcher Weise wir unsere Kommunikation und Entscheidungsfindung über das Internet steuern.”

Denn dass Kommunikation über das Netz auch schon kommunale Projekte beeinflusst, steht beispielsweise für Radwan mittlerweile fest. Vor allem die jungen Menschen würden anders kommunizieren. Und um die zu erreichen, dürfe man nicht außen vor bleiben. So ist das Bürgerbegehren um den Waakirchner Lanserhof laut Radwan in den letzten 48 Stunden auch und vor allem über das Netz gewonnen worden.

Worte und Taten müssen übereinstimmen

Radwans Worte zeigen zweierlei: die altbewährte Kommunikation gibt es noch – und sie ist wichtig. Allerdings liegt das große Aktivierungspotential im Internet. Im Jahr 2012 ist die neue Realität auch in der kommunalen Politik angekommen. Und man kann der Rottacher CSU und Alexander Radwan nur Respekt bekunden für die klare Analyse und die offenen Worte.

Jetzt müssen die Ergebnisse “nur” noch mit den Taten synchronisiert werden, damit sich bei dem Wähler ein wichtiges Gefühl einstellt, dass die Piraten ebenfalls gut bedienen. Authentizität – oder die Übereinstimmung des unmittelbaren Scheins mit dem eigentlichen Sein.

Man könnte es auch konkret an einem Beispiel festmachen: Wer Transparenz wirklich leben will, sollte zuerst mit den Prinzip der Öffentlichkeit in den Gemeinde- und Stadträten beginnen. Geheime Abstimmungen oder Vorabentscheidungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, wie sie tagtäglich nicht nur in den Gremien der Talgemeinden gang und gäbe sind, gehören abgeschafft.

Man mag es für einen Zufall halten, dass sich gerade in diesem Gebiet Bayerns solche Töne breit machen. Man kann die Entwicklung aber auch damit in Zusammenhang bringen, dass mit der Tegernseer Stimme seit zwei Jahren ein verlagsunabhängiges Onlinemedium entstanden ist, das die Diskussionen um wichtige Zukunftsthemen in genau diesem Gebiet neu und anders angeht, wie es die traditionelle Tageszeitung tut.

Vor allem der im Artikel angesprochene Streit um den Lanserhof hatte das vor einiger Zeit deutlich gemacht. Die kompletten Diskussionen dazu liefen online auf “der Stimme” ab. Null Kommentare und Diskussion gab es auf der Homepage der Zeitung. Wir hatten schon an anderer Stelle darüber und über die Chancen unabhängiger Medien zur Modernisierung der Demokratie berichtet:

Tegernseer Landidylle fordert politische Teilhabe
Investor spielt moderierte Demokratie am Tegernsee
Freie Netzmedien fördern transparente Demokratie

Zusatz: Der Autor dieses Artikels ist Mitgründer der Tegernseer Stimme.

Facebook wird zunehmend spannender, was die politische Kommunikation angeht. Gerade der für viele inzwischen schon fast vergessene Streit um Stuttgart 21 zeigt, was auch im Nachgang über soziale Netzwerk an Diskussionskultur erhalten bleibt, vor welchen Problemen man damit aber auch steht.

Eine spannende und durchaus selbstkritische Analyse zur Protestbewegung rund um den Bahnhofsbau hat der grüne Tübinger Bürgermeister und Stuttgart21-Gegner Boris Palmer heute auf Facebook veröffentlicht. Er kommt darin zum Ergebnis, dass nicht die oft bemängelte fehlende Informationen zur Faktenlage, sondern die falsche Organisation und Kommunikation des Protestes Schuld an dem aus Sicht der Gegner verlorenem Volksentscheid war:

Die teilweise mythische Überhöhung des Widerstands hat viele Menschen abgeschreckt. Ganz sicher kann man das von Demonstrationen sagen, die durch Blockaden von Hauptverkehrsstraßen den Verkehr in der Innenstadt zum Erliegen gebracht  haben. So manches Nein (zum Ausstieg aus dem Projekt) war ein Nein zu Staus am Montagabend. Manches Gelöbnis und mancher Superlativ zum Denkmal- und Naturschutz hat außerhalb der Bewegung Unverständnis erzeugt und zur Niederlage beigetragen. Das gilt noch stärker für Unduldsamkeit und verbale Aggression. Die gab es eben auf beiden Seiten. Das heißt nun nicht, dass wir unsere Niederlage vollständig selbst verschuldet haben. Es heißt schon gar nicht, dass die Grünen in der Landesregierung alles richtig gemacht hätten. Sehr wohl zeigt diese Analyse aber, dass die Abstimmung im Ergebnis nicht anders geendet hätte, wenn alle Kritikpunkte, die aus der Bewegung bis heute unermüdlich vorgetragen werden, berücksichtigt worden wären.

Das Thema wird in Zukunft noch viele andere Bewegungen, Organisationen und auch neue Piraten Parteien beschäftigen: Wie kommunizieren lose Netzwerkorganisationen ohne klare Strukturen ihre Anliegen nach außen? Wie sieht organisierter und zielführender Diskurs im Netz und auf der Straße aus? Wie erarbeitet man im Netzwerk eine gemeinsame Zielsetzung? Wie kann vermieden werden, dass oft einseitige Informationsüberflutung in sozialen Netzwerken unbeteiligte nervt und schnell zu rein emotionalen Abstimmungen führt?

Ähnliches ist momentan auch bei den Diskussionen um eine Neuregelung des Urheberrecht zu beobachten: Der Protest ist schnell organisiert – der Einstieg in wirkliche Diskussion fällt aber allen Beteiligten extrem schwer.

Deutsche Bank: Komplementärwährung für Krisenstaaten

von Steffen Greschner am 21. Mai 2012

Nachdem wir hier schon mehrmals die Möglichkeit von Parellel- und Komplementär-Währungen zur kurzfristige Nothilfe von EU-Krisenländern beschrieben haben, ist das Konzept in den letzten Tagen, durch eine aktuelle Studie der Deutschen Bank, auch von einigen größere Medien aufgegriffen wurden (ZEIT; WiWo; FTD).

NZZ Online titelte heute sogar mit dem Ansatz. Die NZZ beruft sich dabei ebenfalls auf die Studie der Deutschen Bank, die eine Schuldschein-Währung für Griechenland ins Gespräch bringt:

Sie könne helfen, eine ökonomische, soziale und politische Katastrophe mit unvorhersehbaren Ansteckungseffekten zu vermeiden, ohne dass die europäischen Institutionen und der Internationale Währungsfonds taktischen Erpressungsversuchen nachgeben müssten, heisst es in einer Studie der Deutschen Bank.

Laut NZZ werden in der Studie handelbare Schuldscheine ins Gespräch gebracht, die sehr schnell als lokales Zahlungsmittel anerkannt. Auf die Schuldscheine wird eine Abflussgebühr erhoben, sobald die lokale Währung in Euro getauscht werden würde:

Durch die Ausgabe von handelbaren Schuldscheinen werde die griechische Regierung auch ohne Unterstützung der internationalen Geldgeber in die Lage versetzt, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Rasch würden sich die Papiere als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel im Inland etablieren und zum Kauf von Waren und Dienstleistungen aller Art verwendet werden können. Zur Abwicklung internationaler Geschäfte, zum Beispiel für den Import von Rohstoffen, müssten die Schuldscheine in fremde Währungen getauscht werden. Experten rechnen mit starken Kursabschlägen. Die Deutsche Bank geht im Verhältnis zum Euro von einem Minus von etwa 50% aus.

Der Abschlag von 50% geht noch weit über das hinaus, was die Initiatoren des Chiemgauers als Modell für Griechenland (PDF) vorgeschlagen hatten. Einen ähnlichen Vorschlag hatte gestern auch das Handelsblatt mit der parallelen Wiedereinführung der Drachme ins Gespräch gebracht.

Die Macher des Chiemgauer Regiogeldes freuen sich ebenfalls über die neue Diskussionsgrundlage, die durch die mediale Aufmerksamkeit entstanden ist.

Weitere Artikel zum Thema auf [xPolitics]
Euro 2.0: regionale Krisenwährungen mit Umlaufimpuls?
Tauschkreise und Expresswährung als Krisenalternative?
Hilfe für Krisenstaaten: “Expressgeld statt Euroaustritt”

Einen spannenden Artikel hat der Freitag bereits am Montag gebracht. Unter der Frage “Wahlen Abschaffen?” hat sich Lutz Herden die aktuelle Lage in Griechenland vorgenommen und dabei einige nachdenkenswerte Fragen und Sichtweisen zum generellen Zustand demokratischen Wahlen(tscheidungen) aufgebracht:

Da die Griechen am 6. Mai nicht so abgestimmt haben, wie das die Finanzmärkte und die ihnen zur Hand gehenden EU-Autoritäten für unumgänglich hielten, muss diese falsche Entscheidung des Wählers richtig gestellt werden. Das geschieht, indem der linken Wahlallianz Syriza unverblümt bedeutet wird, sie solle ihre Wähler verraten und nach dem Votum eine andere Politik betreiben als zuvor versprochen. Sie müsse eine Koalition mit den Parteien eingehen, die für das ökonomische Desaster des Landes verantwortlich sind und die Wahlen haushoch verloren haben – alles andere laufe auf den Verlust jedweder Kreditwürdigkeit wie des Euro hinaus. Im Klartext: Die Interessen der Finanzmärkte stehen über den Interessen der Bürger. Es wird niemand ernsthaft behaupten, dies habe noch viel mit Demokratie zu tun.

Der Artikels schrammt bewusst knapp an einseitig linkem Gedankengut vorbei, schafft aber einen anregenden Spagat, was sich auch in den Diskussionen innerhalb der letzten Tage in den Kommentaren wiederspiegelt.

Zwangsrente zerstört Innovation und junge Selbstständige

von Steffen Greschner am 15. Mai 2012

Eine Petition auf Bundestag.de gewinnt in den letzten Tage enorm viel Unterstützung (etwa 40.000 Neuzeichner in den letzten 5 Tagen). Und das zu Recht. Was das Rentenministerium mit der Einführung einer pauschalisierten Zwangsrentenabgabe für Selbstständige plant, ist fernab der Lebensrealität, wie Deskmag treffend zusammenfasst:

Unter dem Motto “Lebensleistung belohnen” sollen Selbstständige monatliche Mindestbeiträge in die staatliche Rentenversicherung zahlen oder in unflexible Privatrenten gezwungen werden. Sie führen zu Mehrbelastungen von mehreren hundert Euro im Monat – nicht als prozentuale Abschläge vom Einkommen, sondern als feste Pauschalen. Für viele Selbstständige können sie das Aus bedeuten.

Für viele Selbstständige – mich eingeschlossen – bedeutet eine geplante Zangsrentenabgabe von minimum 350 Euro (für Selbstständige die 1991 oder später geboren wurden. Je älter, je mehr. Ist klar!) eine extrem hohe Belastung, die gerade in den ersten Jahren nur sehr schwer, bis garnicht zu finanzieren ist.

Das wird nicht nur vielen jungen Gründern den Hals brechen, sondern vor allem neue Gründer davon abhalten überhaupt selbstständig etwas zu unternehmen. Bei monatlichen Fixkosten von guten 600 Euro für Rente und Krankenversicherung – vom ersten Tag an – kann man diesen Entwurf nicht anders verstehen, als dass Unternehmertum und Innovationen in Deutschland nicht gewünscht sind.

Was Ursula von der Leyen gegenüber der WirtschaftsWoche über die Rentenabsicherung Selbstständiger von sich gegeben hat, klingt in diesem Zusammenhang wie Hohn und Spott:

Der Porsche in der Garage oder der Rembrandt an der Wand werden sicher nicht reichen. Die Altersvorsorge für Selbstständige muss auskömmlich, nachhaltig und pfändungssicher sein.

Manchmal ist es einfach unvorstellbar, dass Politik überhaupt so weit von der Lebensrealität entfernt sein kann.

Die Petition gibt es hier. Mehr Infos hat das Deskmag hier und hier zusammengetragen.

Die Grün-Rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bürgerbeteilgigung und Transparenz zu entwickeln und zu fördern. (Baden Württemberg pusht Open Government: “Eine Revolution, die das Regierungshandeln umdrehen könnte”). Auch MP Kretschmann wünscht sich in Interviews mehr Einfluss der Zivilgesellschaft.

Dass man es damit wirklich ernst meint, zeigt der Antrag, den Baden-Württemberg im Bundesrat zum Gesetzesentwurf für mehr Öffentlichkeitsbeteiligung eingereicht hat: (Änderungen die BW in den Ursprungsentwurf eingefügt, bzw. gestrichen hatte sind im Text Rot markiert)

Der Träger eines Vorhabens informiert die Behörde frühzeitig über die Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können. Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger eines solchen Vorhabens die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel es zu verwirklichen und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet und ihr Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung gibt (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung).

Hierbei sollen auch elektronische Informationstechnologien genutzt werden. Die Behörde berät den Träger des Vorhabens über Inhalt und Umfang einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll (möglichst) bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. Das Ergebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll der Behörde spätestens mit der Antragstellung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden.

In der Begründung führt das Land Baden-Württemberg auf, dass “die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung nicht weit genug” gehe. Außerdem will man, “dass ein Vorhabenträger die Behörde bei bestimmten Vorhaben über seine Pläne zu informieren hat“.

In der Stellungnahme wird dazu noch gefordert, dass die Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht auf Empfehlung und freiwilliger Basis, sonder verbindlich erfolgen müsse. Hervorgehoben sind außerdem die elektronischen Medien: “Zur Sicherung von mehr Transparenz ist darüber hinaus eine Soll-Vorschrift zur Nutzung elektronischer Informationstechnologien aufzunehmen.

Außerdem beharrt die Stellungnahme darauf, dass der Kreis der betroffenen Öffentlichkeit weiter gefasst werden müsse und sich nicht nur auf “potentielle Einwender in anschließenden Verwaltungsverfahren” beschränken dürfe.

Die Änderungswünsche aus Baden-Württemberg wurden in den Beschluss des Bundesrates aber trotzdem nicht übernommen. Gerade auf den Punkt der elektronischen Medien bezogen, ist das mehr als schade und unverständlich. So besteht weiterhin die Gefahr, dass die “Öffentlichkeit” zum Aushang an Rathaus laufen oder Einsicht bei der Baubehörde beantragen muss.

Fazit: Zwei Schritte vor – und leider ein Schritt zurück!

Den kompletten Antrag, inkl. lesenswerter Stellungnahme gibt’s hier.

Langsam aber sicher schaffen es die Rufe nach Beteiligung auch bis in die Gesetzgebung. Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, mit dem die Beteiligung der Öffentlichkeit an Großprojekten gestärkt werden soll. Der Titel des Ganzen:

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) (Drucksache 171/12)

Das Gesetz sieht vor, dass Träger und Planer schon vor Antragsstellung die Öffentlichkeit in ausreichendem Maße über das Vorhaben und die Auswirkungen zu informieren haben. Als Begründung zur Gesetzesvorlage im Bundesrat steht im Entwurf:

Vor allem bei Großvorhaben, deren Auswirkungen über die Einwirkungen auf ihre unmittelbare Umgebung hinausgehen und die oft Bedeutung über ihren Standort hinaus haben, werden die bestehenden Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren als nicht mehr ausreichend empfunden. Hier ist ein zunehmendes Interesse der Bürgerinnen und Bürger an frühzeitiger Beteiligung und Mitsprache festzustellen.

Ziel des Gesetzentwurfes ist es, durch die Einführung einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung die Planung von Vorhaben zu optimieren, Transparenz zu schaffen und damit die Akzeptanz von Genehmigungs- und Planfeststellungsentscheidungen zu fördern.

Man muss sich wohl nicht sehr weit aus dem Fenster lehnen, um den Gesetzesentwurf als langfristigen Erfolg der Bewegungen und Diskussionen rund um den Stuttgarter Bahnhof zu verbuchen.

Den kompletten Vorgang (und die Ellenlangen Gesetzesentwürfe) gibt es hier.