Tauschkreise und Expresswährung als Krisenalternative?

von Steffen Greschner am 16. April 2012

Tauschgeschäfte gelten vielen als deutliche Krisenzeichen und letzte Vorstufe zum Euro-Crash. In Griechenland lässt sich aktuell spannend beobachten, welche Kreativität aber gerade in Krisen stecken kann: immer mehr gut organisierte (onlinebasierte) Tauschkreise sind seit Beginn der Krise entstanden. Selbst der Eintritt für das Nationaltheater in Thessaloniki kann inzwischen in Naturalien beglichen werden:

Ein Theater in Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki ist angesichts zunehmender Armut und Hunger im Land zum Tauschhandel übergegangen. In einer Erklärung des Nationaltheaters Nordgriechenlands hieß es, statt Eintrittskarten sollten die Besucher lang haltbare Nahrungsmittel mitbringen.

Wir hatten uns einige der Tauschkreise bereits letzten Sommer etwas genauer angeschaut (Kreative Griechen entwickeln Euro-Alternativen).

Unter dem Aspekt einer drohenden kompletten Währungskrise erscheint auch die vor einiger Zeit von den Initiatoren der Regionalwährung Chiemgauer erdachte Alternative einer umlaufgebremsten Expresswährung nochmals nachdenkenswert, wie wir es bereits im Februar beschrieben hatten:

Kann eine Komplementärwährung kompletten Staaten aus der Krise helfen? Das schlagen zumindest die Initiatoren der Regionalwährung “Chiemgauer” vor (PDF: Expressgeld statt Euroaustritt). Ihr Ziel ist es damit Lösungen für die aktuellen Krisenstaaten aufzuzeigen:

Umlaufbeschleunigtes und abflussgebremstes Geld könnte die nationale Wirtschaft zusätzlich antreiben – ohne neue Auslandsschulden und ohne ausländische Zuschüsse. Selbsthilfe und Selbstverantwortung des in Not geratenen Landes stünden im Vordergrund anstatt einer immer größer werdenden Abhängigkeit von aßen. Mehr Umsätze würden zu mehr Beschäftigung, weniger Handelsdefizit, weniger Sozialausgaben und mehr Steuereinnahmen führen.
Dabei ist die Grundidee: Wenn kein zusätzliches Geld in die Wirtschaft eingeführt werden kann, weil es sofort wieder abflißt durch Importe oder Geldflucht, muss man das vorhandene Geld besser nutzen, das heiflt Liquiditätsoptimierung in Ökonomensprache, oder Expressgeld in Umgangssprache.

Die Grundlagen für eine dementsprechende Komplementärwährung sind relativ einfach. Die Komplementärwährung ist 1:1 an den Euro gekoppelt. Es macht preislich also keinen Unterschied, ob in Euro oder in der jeweiligen Zweitwährung bezahlt wird. Allerdings bekommt die neue Währung einen “Turboboost” mit auf den Weg. Zwei Faktoren sind dabei entscheidend:

  1. Ein “Umlaufimpuls” (Nutzungsgebühr des Geldes). Dadurch wird der Geldfluß beschleunigt, was die Wirtschaft antreibt.
  2. Eine “Abflußbremse” (Umtauschgebühr bei Wechsel in Euro). So bleibt das Geld im Land, stärkt die regionale Wirtschaft und reduziert das Handelsdefizit.

Im Tauschen steckt nicht immer nur Krise, sondern auch das Potential, Alternativen zum bestehenden Währungs- und Wachstumszwang zu erarbeiten.

Komplementärwährungen können einen sehr ähnlichen Zweck erfüllen und bieten die Chance auf lokaler bis hin zu nationalstaatlicher Ebene Systeme zu entwickeln, die den Euro nicht begraben, sondern als eine ergänzende internationale Währung betrachten.

Piratenchance: Systementwicklung statt Vollprogramm

von Steffen Greschner am 12. April 2012

Langsam aber sicher werden die gesellschaftlichen Diskussionen um die Piraten sachlicher und kommen dem eigentlichen Punkt oft näher. Eine der spannendsten Analysen kann man seit einigen Tagen auf Spiegel Online nachlesen.

Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, beschreibt in einem Essay, was die Faszination der Piratenpartei für Sie bedeutet und schafft es dabei – ohne vom Protestwähler zu sprechen -, die Wünschen und den stetigen Zulauf der Wähler zu erklären:

Die Piraten sind angetreten, einen Versuch der basisdemokratischen Politikgestaltung zu unternehmen, der sich der Mittel des 21. Jahrhunderts bedient, ohne dabei in die Falle des niemals endenden Gelabers ohne bindende Entscheidungen zu tappen. Gleichzeitig sollen verholzte Strukturen wie Landesverbände und Antragskommissionen vermieden werden. Den Vorwurf, sie würden so kein “Vollprogramm” entwickeln, können sie gelassen hinnehmen. Denn was das sein soll, dürften die Spitzenpolitiker der konkurrierenden Parteien anhand der eigenen Programme kaum zeigen können. Einen visionären Gesellschaftsentwurf hat auch von ihnen niemand in petto.

Was wir hier schon öfter als “die Aufgabe der Piraten ist die Suche” beschrieben haben, sieht Kurz ebenfalls als einen der wichtigsten und zugleich gefährlichsten Punkte für die Piraten. Es geht für sie weniger um inhaltliche Programme, als darum ein neues Betriebssystem für die Politik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Ein System der Teilhabe, das die Möglichkeiten des Internet mit einbezieht:

Das Versprechen der direkten Partizipation macht die Piraten so attraktiv für die von der Parteipolitik Verdrossenen. Ob die politischen Neulinge aus dem Netz dieses Versprechen halten können, ist eine der spannendsten Fragen des aktuellen Zeitgeschehens. Wenn das Experiment scheitert, die junge Partei im Chaos versinkt oder sich Sektierer und Partikularinteressenten ihrer bemächtigen, ist das Modell einer permanenten direkten politischen Online-Beteiligung wohl für eine ganze Weile diskreditiert.

Anstatt sich in inhaltlichen Debatten zu verstricken, liegt die größere Chance vielleicht darin, das System weiter zu entwickeln. Liquid Democracy ist ein Teil davon. Aber auch die Definition relevanter Zukunftsthemen kann eine spannende Möglichkeit sein, die Suche und Weiterentwicklung sinnvoll vorwärts zu treiben.

Das man für die Wähler nicht zwingend ein “klassisches Vollprogramm” im bekannten Sinne braucht, zeigen die Ergebnisse der letzten Wochen und Monate. Die Piraten bekommen den größten Vertrauensvorschuss nicht für starre Programme und Ziele, sondern dafür, dass sie die Hoffnung auf permanente Veränderung und die Suche nach Möglichkeiten der Teilhaben aufrecht erhalten.

Eine umfangreiche Einführung in das System Liquid Democracy bietet die Magisterarbeit von Sebastian Jabbusch.

Schweizer Initiative will Grundeinkommen in Verfassung

von Steffen Greschner am 10. April 2012

In der Schweiz nimmt die Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen langsam immer mehr an Fahrt auf. Am kommenden Donnerstag soll eine neue Initiative der Presse vorgestellt werden, die zum Ziel hat, ein Grundeinkommen in der Schweizer Verfassung zu verankern. Vorreiter der Initiative ist der ehemalige Vizekanzler Osswald Sigg, der den erneuten Anlauf so erklärt:

«Gute Ideen haben in der Schweiz immer mehrere Anläufe gebraucht», sagt Sigg auf Anfrage der az und verweist auf die Einführung des Frauenstimmrechts oder der AHV. «Wir wollen eine politische Diskussion über das Grundeinkommen auslösen»

Das Ziel der Initiative ist nicht die direkte Einführung und Ausarbeitung eines Grundeinkommens in der Schweiz, sondern in erster Linie die Verankerung des Prinzips in der Verfassung:

Alles andere, namentlich die Fragen der Finanzierung und des Kreises der Berechtigen, soll später im Gesetz geregelt werden. Unternehmer Daniel Häni hat vorgerechnet, was die Sache kosten könnte. Demnach sind 170 von 200 Milliarden Franken Totalkosten (das sind rund ein Drittel des Bruttoinlandprodukts) durch wegfallende Sozialleistungen und Löhne bereits gedeckt. Es müssten also noch 30 Milliarden aufgetrieben werden.

Auf der Seite der Initiative spricht man von 2.500 Franken, die jedem “der fest in der Gesellschaft lebt” monatlich zustehen sollen. Auf dieser Grundlage wurden auch die Kostenrechnungen angestellt.

In der Schweiz hat die Initiative inzwischen einige hochkarätige Unterstützer: neben dem Alt-Vizekanzler wird die Idee eine Grundeinkommens auch vom ehemaligen Chefökonomen der USB-Bank Klaus Wellershof unterstützt.

Für Lesefaule: “Wir, die Netzkinder” gelesen auf Youtube

von Steffen Greschner am 26. März 2012

*update*
Den Artikel “Wir, die Netzkinder” gibt es inzwischen auch als gesprochenen Text auf Youtube. Vorgelesen, von dem Schauspieler Johannes Franke, kommt der Text nochmal um einiges theatralischer rüber und passt toll zum letzten Erfolg der Piraten und der Suche anderer Parteien nach Antworten auf das Phänomen, welches sie gerne als “Protestwähler” bezeichnen:

*update*
Die Zeit gehört langsam aber sicher endgültig zu einer der spannendsten Nachrichtenquellen, wenn man ernsthaft geführte Themen und Debatten sucht. Ein tolles Beispiel ist heute der Aufmacher bei ZEIT ONLINE.

Man könnte es auch als die Suche nach der bewegten Mitte bezeichnen, was der polnische Dichter Piotr Czerski dort unter dem Titel “Wir, die Netzkinder” schreibt:

Unser Verständnis von sozialen Strukturen ist anders als eures: Die Gesellschaft ist ein Netzwerk, keine Hierarchie. Wir sind es gewohnt, das Gespräch mit fast jedem suchen zu dürfen, sei er Journalist, Bürgermeister, Universitätsprofessor oder Popstar, und wir brauchen keine besonderen Qualifikationen, die mit unserem sozialen Status zusammenhängen. Der Erfolg der Interaktion hängt einzig davon ab, ob der Inhalt unserer Botschaft als wichtig und einer Antwort würdig angesehen wird. Und da wir, dank Zusammenarbeit, ständigem Streit und dem Verteidigen unserer Argumente gegen Kritik das Gefühl haben, dass unsere Meinungen einfach die besseren sind, warum sollten wir dann keinen ernsthaften Dialog mit der Regierung erwarten dürfen?

Ein absolut lesenswerter Artikel und ein toller Beitrag für mehr Verständnis und eine Annäherung an die “Probleme” und Denkmuster dahinter, die sich in einer wandelnden Gesellschaft gegenüberstehen.

Piratenpartei: mutige Suche nach Definitionen mit Zukunft

von Steffen Greschner am 19. März 2012

Christopher Lauer, für die Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, hat in seinem Blog einen Beitrag geschrieben, der es in sich hat. Wir hatten hier schon vor einem halben Jahr beschrieben, dass “Suchen der eigentliche Job der Piraten ist“.

Lauer macht sich in seinem Beitrag genau auf die richtige Suche. Er fordert die ganzen Kampfbegriffe einer modernen Gesellschaft zu definieren:

Im Kern dreht sich aber alles um die Frage, was wir als Partei in Deutschland verändern wollen und welche Prinzipien dieser Veränderung zu Grunde liegen sollen. Wir reden viel über Transparenz und Bürgerbeteiligung. Was es für uns konkret bedeutet haben wir nicht definiert. Wir reden über “Themen statt Köpfe” und Basisdemokratie. Was das konkret bedeuten soll haben wir ebenfalls nicht definiert. Wir wollen nicht so werden wie “die Anderen” haben aber noch gar nicht klar, was wir an “den Anderen” gut oder schlecht finden. Alles in Allem: Wir hantieren parteiintern wie extern mit allerhand Vokabular herum, das vielleicht griffig, aber oft einfach nicht definiert ist. Das kann meiner Meinung nach eine Gefahr für uns werden. Wenn es uns nicht gelingt die Dinge, über die wir die ganze Zeit sprechen zu definieren, dann werden sie uns im Parlament auf die Füße fallen, dann werden andere sie für uns definieren und im Zweifelsfall ihre Definition gegen uns verwenden.

Genau dieses Hinterfragen ist das, was sich viele von einer modernen Politik wünschen. Das ist auch die größte Chance der Piraten: Noch gibt es keine exakten Vorstellungen zu den Themen der Zukunft. Nicht bei den Piraten und nicht bei den restlichen Parteien.

Lauer stellt sich selbst und öffentlich die Fragen, die es in den nächsten Jahren zu klären gilt. Und das ist nicht nur Netzpolitik, sondern das Entwickeln einer gemeinsamen Vision, wie wir in den nächsten Jahrzehnten als Gesellschaft leben wollen:

Was ist für uns ein anderer Politikstil? Was läuft an unserem momentanen politischen System gut/schlecht und was wollen wir daran wie verändern? Was ist Transparenz in Politik und Verwaltung, was ist Bürgerbeteiligung, was ist Basisdemokratie? Was sind unsere Lebenslügen? Wie wollen wir, vor allem parteiintern, mit Macht, Verantwortung und Führung umgehen? Wollen wir und wenn ja mit welcher anderen Partei, Regierungsverantwortung anstreben? Was ist unser Gesellschaftsentwurf? Wie wollen wir als Gesellschaft in 50 Jahren miteinander leben?

Diese Selbstreflexion tut der Politik gut und ist in einer Zeit des Umbruches wohl das einzige Mittel, wie man Neues entwickeln kann. Über die Definitionen der Begriffe, Fragen und Themen werden die Richtungen festgelegt. Die Detailarbeit kommt danach.

Crowdsourcing und Zeitarbeit: Chance oder Billigsektor?

von Steffen Greschner am 19. März 2012

Crowdsourcing als Arbeitsform wird seit einigen Jahren diskutiert. Das Image von “Zeitarbeit” in Deutschland ist nicht das beste. Schlechte Arbeitsbedingungen und Profitdenken wurde darum auch IBM vorgeworfen, als öffentlichkeitswirksam eine Umstrukturierung hin zum Crowdsourcing angedacht wurde.

Ein Blick über den großen Teich zeigt, wo die Reise hingeht. Das Branchenblatt der Ingenieure VDI-Nachrichten, hatte dazu einen interessanten Artikel, der das Wachstum in den USA verdeutlicht:

Laut der Organisation Crowdsourcing.org wuchs der Umsatz der Zeitarbeitsagenturen 2010 um 50 % und im vorigen Jahr waren es sogar 75 %. Das frei verfügbare Arbeitskräftepotenzial der Agenturen und der Freien Mitarbeiter verdoppelt sich inzwischen jährlich. Angeführt wird dieses rasante Wachstum vor allem von den Bereichen Software und Dienstleistungen. Damit widerspricht die Organisation auch der allgemeinen Behauptung, dass es sich beim Crowdsourcing nur um einfache Arbeiten handelt. Rund die Hälfte dieser Fachkräfte hat einen Bachelor-Abschluss oder höher und nur 5 % haben ausschließlich einen Hauptschulabschluss.

Während bei Crowdsourcing oder Zeitarbeit in Deutschland meist ausschließlich über den Billiglohnsektor fabuliert wird, zeigt die Entwicklung, dass vor allem wissensgetriebene Branchen die Crowdsourcing-Modelle vorantreiben.

Spannend und in den Diskussionen leider oft nur am Rande geführt, ist die Zufriedenheit der Menschen mit neuen Arbeitsformen. Entgegen der Erwartung, dass die fehlende Sicherheit in erster Linie verunsichert, steht die neue Freiheit im Vordergrund:

Gemäß einer Untersuchung von MBO Partners sagen 80 % der Zeitarbeiter, dass sie nicht wieder fest angestellt sein möchten. Als Hauptgrund geben sie an, dass sie jetzt wesentlich freier in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und der Aufgabenstellung sind. Doch der Schritt in diese Richtung war zumeist anders motiviert. Laut einer Studie von Boston Consulting sagen 60 % der Arbeitnehmer einer französischen Zeitarbeitsfirma, dass sie als Leiharbeiter angeheuert hätten, weil sie auf diese Weise schnell wieder einen Job gefunden hätten.

Zeitarbeit und Crowdsourcing reflexartig als Trend hin zu prekären Arbeitsformen zu sehen, greift demzufolge zu kurz. Zeitarbeit (mit angemessener Bezahlung), bietet auch Chancen auf eine neue Form der Selbstorganisation.

Die Rot-Grüne Landesregierung in Baden Württemberg verfolgt das erklärte Ziel, möglichst alle Daten für alle Bürger öffentlich einsehbar zu machen. Eine Entwicklung, die nicht zuletzt den Erfahrungen rund um Stuttgart21 geschuldet ist. Vor einigen Tagen wurde dazu der “Prototyp” Open Data Service BW online gestellt:

Die Öffnung der bei den Verwaltungen des Landes vorhandenen Informationen, Daten und Dokumente ist erklärtes Ziel der baden-württembergischen Landesregierung. Die Daten sollen im Sinne von „open data“ weitestgehend öffentlich zugänglich sein.

Der Prototyp erschließt exemplarisch ein breites Spektrum staatlicher und kommunaler Daten und Informationen, Dienste und Anwendungen.

Der Zuständige Ministerialdirektor Dr. Herbert O. Zinell sieht darin einen von vielen Schritten der Strategie auf dem Weg zu Open Government in Baden Württemberg. Zinell spricht dabei von einer politischen Revolution, die durch soziale Netzwerke und Medien getrieben und unaufhaltsam ist:

„Hinter Open Government verbirgt sich eine stille „Revolution“, die das Regierungs- und Verwaltungshandeln aller Ebenen über kurz oder lang umdrehen könnte“

Gegenüber schwaebische.de macht Zinnel deutlich, dass der Wandel vor allem als Chance und weniger als Bedrohung zu begreifen ist:

Zinell vertritt die Auffassung, dass die vom Bürger gewünschte Beteiligung an den politischen Prozessen eine Motivation, die unaufhaltsame Entwicklung der Sozialen Medien und der Sozialen Netzwerke eine Notwendigkeit für die Öffnung der kommunalen Datenbestände darstellen, „solange diese nicht rechtlich geschützt sind“.
(..)
Das Ziel des Baden-Württemberg-Portals sei, sortierte Daten zur Weiterverarbeitung bereitzustellen, keine unübersichtliche Datenfülle zu liefern und Information als Treibstoff für Bürgerbeteiligung anzubieten. „Nur von gut informierten Bürger n sind auch qualitative Beiträge zu erwarten“, vertritt Zinell die Auffassung und sieht die Einflussnahme durch die vernetzten Bürger auf die Politik als unausweichlich an.

Man darf also gespannt sein, was sich in Baden Württemberg in den nächsten Monaten und Jahren noch alles tut. Die eingeschlagene Richtung der noch relativ jungen Landesregierung scheint zumindest vielversprechend.

Entwicklerseitig tut sich inzwischen einiges, um die Möglichkeiten des Netzes in die Politik zu bringen. Aus Baden-Württemberg kommt eine Plattform, die sich der Möglichkeit digitaler Partizipation widmet: Parteezy.de

Der offizielle Launch ist für nächste Woche, den 22. März 2012, geplant. Im Blog der Entwickler-Agentur schreibt man dazu:

Auf dieser Plattform können die Städte und Gemeinden Ihren Bürgern Arbeitsräume für Beteiligung an Projekten einrichten, die 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag verfügbar sind.

Natürlich bietet Parteezy auch Online-Umfragen an und eine Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen auf kurzem Wege.

Die Entwicklung anwenderfreundlicher Software ist eine Grundbedingung, um die Chancen digitaler Beteiligung überhaupt testen zu können. Die meisten Kommunen und Gemeinden sind weder technisch noch, noch vom Verständnis, geschweige denn finanziell in der Lage eigene Lösungen zu entwickeln.

Parteezy versucht dabei clever die eigene Software mit bestehenden Social Media Netzwerken zu verknüpfen. So will man Bürger und Gemeindemitarbeiter auf den Netzwerken abholen, wo sie bereits sind (Info-PDF):

Parteezy vereinigt alles, was Sie für die interne und externe Kommunikation – also mit Mitarbeitern, anderen Kommunen und Bürgern benötigen. Funktionen sind dabei u.a. Diskussionsforen, Kontakt- und Nutzermanagement, Umfragen, Wissenswikis, Schnittstellen zu Dokumentenmanagement und Social Media und vieles mehr …

Spannend ist auch die Möglichkeit geschlossene Diskussionsgruppen zu starten, in denen gemeindeübergreifend oder in Zusammenarbeit mit Experten und engagierten Bürgern im Vorfeld an Problemlösungen gearbeitet werden kann. So kann man sich auch dem Dilemma Partizipation vs Datenschutz langsam annähern.

Miet-Jobber bei IBM: Ausbeutung oder neue Freiheit?

von Steffen Greschner am 7. März 2012

Als der Spiegel Anfang Februar über die Miet-Jobber bei IBM berichtete, war die Aufregung groß: von der “neuen Arschlochvariante: Rent a Depp” war schnell bei vielen die Rede.

Die Nachdenkseiten gingen einen Schritt weiter und sehen in dem Modell, Spezialisten nach Bedarf zu buchen und nur noch die Organisationsebene fest anzustellen, eine neue Dimension der (negativen) Arbeitsorganisation:

Das ist modernes Taglöhnertum auf Basis von Cloud-Computing und facebook. Die kapitalistischen Unternehmen wollen sich endgültig jeglicher Verantwortung für die eingekaufte und verwertete Arbeitskraft entledigen. Eine interessante Frage wäre auch die Auswirkung auf das gesamte System sozialer Sicherung, wenn eine kontinuierliche Erwerbsbiographie nicht mehr möglich ist?
Man sollte also vor dem Hintergrund des Wütens der Finanzindustrie nicht die Veränderungen in der sogenannten wertschaffenden Industrie vergessen. Auch hier geht es “nur” um Profitmaximierung auf Kosten der Menschen.

Ein Modell, wie das von IBM vorgeschlagene, bietet allerdings auch neue Möglichkeiten: flexible Lebensplanung nicht nur durch zwei Stunden Gleitzeit am Morgen, sondern durch freie Zeiteinteilung über das komplettes Jahr gesehen.

Durch solche Modelle könnte sich ein aktiver Markt für IBM-Spezialisten bilden, die bisher kaum die Chance hatten, flexibel zu arbeiten: Vollzeit oder garnicht. Die Alternative auf Einkommen zu verzichten und im Gegenzug mehr private Zeit zu bekommen, gab es dagegen selten.

Im HPO20.com Blog ist eine interessante Gegenmeinung zu lesen, die sich mehr auf die Vorteile konzentriert, die das IBM Modell bieten kann:

  • Vorteil IBM: flexible Beschäftigungsverhältnisse, Variabilisierung von Fixkosten, und natürlich stärkere internationale Konkurrenz unter den “Mitarbeitern”.
  • Vorteil Mitarbeiter: transparenterer Jobmarkt, mehr Eigenverantwortung und -bestimmung, anfangs wahrscheinlich auch höhere Vergütung.
  • Nachteil Mitarbeiter: s. die unzähligen Kommentare auf Spiegel Online.

Eine logische Entwicklung, für die vieles spricht. IBM’s Experten sind schon heute überwiegend in Projekten beim Kunden eingesetzt, sehen ihre “People Manager” oft nur alle paar Wochen und orientieren sich stark am Feedback ihrer Peers, zumeist eine Online Community of Practice.

Viele wollen (müssen) nach einigen Jahren full power entweder zurückschalten, das Unternehmen wechseln oder zuerst noch ein Sabbatical nehmen. Daher sollte dieses neue Arbeitsmodell den Bedürfnissen nach individuellerer Lebensplanung auch besser entsprechen.

Noch ist überhaupt nicht klar, wie IBM die “Miet-Jobber” bezahlen möchte. Man kann aber davon ausgehen, dass es nicht im Interesse von IBM ist, die “Spezialisten”, die man durch diese Variante finden möchte, durch Dumpinglöhne aus dem Billigsektor zu rekrutieren.

Vielmehr sollte das Interesse sein, einen festen Stamm an guten Leuten aufzubauen, die flexibel eingesetzt werden können. Flexibel aus Sicht von IBM aber auch aus Sicht der Mitarbeiter.

Freiwilligendienst zeigt Chancen eines Grundeinkommens

von Steffen Greschner am 5. März 2012

Bei den Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen als gesellschaftliche Alternative, wird oft “die Faulheit” der Menschen als Gegenargument aufgeführt. Befürworter gehen im Gegenzug davon aus, dass Menschen sich grundsätzlich nützlich machen wollen und nach einer erfüllenden Aufgabe suchen, sobald sie die finanzielle Möglichkeit dazu haben.

Ein Beispiel, dass man nicht nur durch Geld motivieren kann, ist ganz aktuell der Bundesfreiwilligendienst, als Nachfolger für den Zivildienst. Der Spiegel spricht sogar von einem Boom:

35.000 Plätze für “Bufdis” hatte der Staat vorgesehen, alle sind besetzt, 45 Prozent der Stellen mit Frauen. “Mit dem großen Ansturm hatte niemand gerechnet”, sagt Martin Schulze vom Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr. Eine genaue Zahl, wie viele Bewerber abgelehnt werden mussten, gibt es nicht.

Interessant ist, dass ein großer Teil der Freilligen nicht im Alter der Zivildienstleistenden ist, sondern deutlich darüber liegt. Auch die Aufteilung zwischen Mann und Frau ist annähernd 50:50:

Der Bundesfreiwilligendienst steht allen Altersklassen offen und dauert in der Regel ein Jahr. Derzeit sind gut 25 Prozent der “Bufdis” über 50 Jahre alt und gut die Hälfte aller Freiwilligen im BFD sind Männer.

Die Bundesfreiwilligen sind in der Regel ein Jahr lang tätig, während die Zivildienstleistenden zuletzt nur noch sechs Monate tätig waren.

Man kann den Bundesfreiwilligendienst vielleicht als erstes Indiz oder einen “light Test” für ein Bedingungsloses Grundeinkommen sehen: Maximal 336 Euro bekommen die Freiwilligen pro Monat, plus Übernahme der Beiträge für Renten-, Unfall-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Viele arbeiten auch für weniger.

Trotz der geringen finanziellen Wertschätzung ist die Nachfrage deutlich höher, als das Angebot. Geld ist dafür auf jeden Fall nicht die Motivation.