Die Zeit hatte einen absolut lesenswerten Artikel über Schattenwirtschaft am Hamburger Hauptbahnhof. Ich habe in Bremen studiert und kenne das Prozedere: An den Fahrkartenautomaten stehen “Kleinunternehmer”, die Mitfahrer für das Länderticket suchen. Das machen sie den ganzen Tag und verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Eine sehr spannende Form der informellen Ökonomie:

Solche informellen Ökonomien florieren laut Robert Neuwirth besonders in Krisenzeiten. Der amerikanische Schattenmarktexperte argumentiert, dass sie eben nicht nur aus Drogen- oder Waffenschmuggel bestünden, sondern vor allem aus Produktpiraterie. Und aus Tausch- und Teilgeschäften. Damit sind die Händler vom Hauptbahnhof auch die Schattenseite der Idee voncollaborative consumption: Sie haben aus dem Teilen ein Geschäftsmodell gemacht. Die Untergrundökonomien füllen nach Neuwirth effektiv Lücken im offiziellen System und funktionieren nach eigenen, ungeschriebenen Gesetzen.
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In ihrer Wahrnehmung versorgten sie ihre Familien und stellten sogar noch Leute ein – völlig ohne staatliche Unterstützung. In den informellen Ökonomien, stellt Neuwirth anerkennend fest, gediehen Unternehmergeist und Erfindungsreichtum. Es sei Zeit, hinzuschauen, was die anzubieten hätten, die im Verborgenen arbeiten.

Den angesprochenen Unternehmergeist kann ich jeden Tag vor meiner Haustüre in Berlin Wedding beobachten. Ich bin immer wieder auf’s neue beeindruckt: Flaschensammler, die sich organisieren und per Aushang anbieten “Leergut zu festen Zeiten direkt von Zuhause abzuholen“, andere bieten im Tausch ihre eigene “Arbeitskraft gegen Nachhilfeunterricht für den Sohn“.

Beim Einkauf im Real ist mir neulich ein älterer Herr begegnet, der vor den Kassen steht und versucht “fremde Einkäufe auf seine Payback-Karte zu buchen” und im Gegenzug beim Tüten packen zu helfen. Pro Euro Umsatz bekommt er 0,5 Paybackpunkte. Pro Paybackpunkt einen Cent am Auszahlautomaten. Mein Einkauf hat ihm etwa 70 Cent gebracht.

Auch bei meiner letzten Fahrt von Berlin nach Stuttgart mit der Mitfahrzentrale war ein spannender informell ökonomischer Ansatz im Spiel: Zwei Studenten haben sich einen alten Sprinter mit 9 Sitzplätzen gekauft – und fahren nicht mal mehr selbst. Einer der Mitfahrer bekommt “das Angebot, den Wagen selbst zu fahren“, mit offiziellem “privaten Mietvertrag”.

Im Gegenzug fährt er natürlich kostenlos. Alle anderen bezahlen regulär. Einer der zwei Studenten hat in Berlin kassiert und eine gute Fahrt gewünscht. Der andere andere hat uns (und sein Auto) in Stuttgart in Empfang genommen. Mit Fahrplan und festen Abfahrtszeiten ist der Sprinter so 24/7 auf der Straße.

Alles kleine Beispiel, wie Wirtschaft mit Vertrauen, Einfallsreichtum und Unternehmergeist als Grundlage auch funktionieren kann. Ähnliche Ansätze gab es hier schon einmal: Vertrauen ist die Währung für echte Alternativen.

Partizipation und Transparenz nur ohne Datenschutz?

von Steffen Greschner am 27. Februar 2012

Dass Datenschutz, Partizipation und Transparenz sich manchmal unvereinbar gegenüberstehen zeigte das Beispiel der Video-Übertragung aus Gemeinderatssitzungen – zugunsten des Datenschutzes muss in Baden-Württemberg vorerst auf Transparenz in der Lokalpolitik verzichtet werden. Datenschutz vs. Transparenz – beides zusammen ist nur schwer umsetzbar.

Einen interessanten Gedanken zu diesem Thema hat Michael Seemann auf ctrl-verlust angesprochen. Er veranschaulicht das “Partizipations-Transparenz-Dilemma” anhand der MyTaxi App:

MyTaxi funktioniert nur, weil der Kunde bereit ist transparent zu handeln, indem er seine Positionsdaten und seinen Fahrtwunsch für alle sichtbar “ins Netz” stellt. Der Taxifahrer tut das gleiche mit seinem Standort. Nur durch die gegenseitige Transparenz, finden beide zusammen.

Der Ansatz, Politik mit der Funktion der Taxizentrale zu vergleichen, ist spannend:

Für meine Generation sind Politiker, Parlamente und Parteien sowas wie Taxizentralen. Es gibt sie noch und sie dominieren ohne Frage das politische Tagesgeschehen. Aber das, wozu sie da sind, lässt sich in absehbarer Zeit besser, effektiver und vor allem direkter erledigen.

Das ist das neue System: Der Vorteil ergibt sich aus der direkten und transparenten Verknüpfung zwischen Kunde und Taxifahrer. Hätte man anstelle der Transparenz, den Schutz seiner Daten gewählt – hätte die direkte Verknüpfung zwischen Kunde und Taxifahrer nicht funktioniert.

Das ist das alte System: Anstelle der Transparenz gegenüber allen Taxifahrern, gibt es den gewohnten Weg über die Taxizentrale. Die Verknüpfung erfolgt nicht transparent und nicht direkt zwischen Kunde und Taxifahrer. Meine Daten werden von einer Stelle, vermeintlich sicher, verarbeitet und an die nächste Stelle weitergeleitet. Die Taxizentrale steht als Puffer dazwischen.

Das neue System ist praktisch, schnell und fair. Kein Geld für Mittler. Kein Stimmverlust durch stille Post. Direkte Demokratie und partizipative Politik schaltet in diesem Verständnis die Parlamente als Taxizentrale mehr oder weniger aus. Die politische Entscheidungsfindung wird direkt zwischen den Beteiligten ausgehandelt. Wie die Taxifahrt zwischen Kunde und Fahrer. Einen Ansatz in diese Richtung verfolgen die Piraten mit ihrem Liquid Feedback Abstimmungssystem.

Am Beispiel Stuttgart21 hätte das bedeutet: Die Bürger verhandeln direkt mit der Bahn, ohne den Umweg über die Politik. Es braucht niemanden mehr in der Mitte aber es braucht die Transparenz der Bürger, um überhaupt partizipieren zu können:

Wir wollen Wohnungen mieten ohne Makler, wir wollen Taxis ohne Zentrale, wir wollen Bücher schreiben ohne Verleger, wir wollen uns organisieren ohne Verein. Das alles ist heute durch das Internet möglich, aber nur wenn wir sagen, wer wir sind und was wir wollen. Nur dann haben die anderen die Chance uns zu finden. Unser Hadern mit unserer neuen Transparenz und die Auflösung der Privatsphäre wird gewöhnlich getrennt betrachtet von den Möglichkeiten der direkten Interaktion oder den emanzipativen Eruptionen wie dem arabischen Frühling oder OccupyWallStreet. Und doch es sind zwei Seiten der selben Medaille.

Wer partizipiert wird transparent und nur wer transparent ist, kann partizipieren. Das Partizipations-Transparenz-Dilemma gilt für alle Fragen einer Politik der Zukunft. Wir können in Frage stellen, ob es das ist, was wir wollen. Wir können aber nicht zum einen “Ja” und zum anderen “Nein” sagen.

Die Lösungen liegen also nicht nur auf technischer Seite und nicht nur auf Seiten der Politik, sondern auch in einem neuen Verständnis für Transparenz auf Seiten jedes Menschen, der sich im Netz bewegt und die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, nutzen will. Den sehr lesenwerten Artikel gibt es auf ctrl-verlust.de.

Manchmal geht es einen Schritt nach Vorne und zwei Schritte zurück: Noch im November hatten wir über Seelbach, eine kleine Gemeinde im Schwarzwald berichtet, die sehr erfolgreich Liveberichte aus ihrem Gemeinderat ins Netz gestreamt hatte. Schüler der örtlichen Realschule hatten die Aufgabe für ein Jahresbudget von gerade einmal 5.000 Euro übernommen. Alle hatten Spaß und es war ein toller Schritt hin zu mehr Transparenz in der Lokalpolitik.

Gestern war auf der Webseite der Gemeinde Seelbach und auf der Seite von SeelbachTV dann – sehr überraschend – folgendes zu lesen:

Die Übertragung von öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats Seelbach in das Internet („Seelbach TV“) muss auf Betreiben des Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) ab sofort eingestellt werden. Nach Ansicht des LfD entspricht das Gemeinderatsfernsehen „SeelbachTV“ nicht dem Landesdatenschutzgesetz und er beanstandete dies in zwei an die Gemeinde gerichteten Schreiben.

Der oberste Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg sieht das Recht zur freien Meinungsäußerung der Gemeinderäte gefährdet. Außerdem gibt es “nichtherausgehobene” Mitarbeiter, wie Sachbearbeiter der Verwaltung, referierende Architekten oder sprechende Bürger, die generell nicht gefilmt werden dürfen – unabhängig davon, ob alle Beteiligten, wie in Seelbach, ihr Einverständnis gegeben haben oder nicht.

Fraktionsübergreifend zeigten die Gemeinderäte keinerlei Verständnis für die Entscheidng. “Ein Witz“, “Mit normalem Verstand nicht zu erklären” oder “Verbieten wir der Presse demnächst auch zu berichten?“, waren die Kommentare gegenüber der Lokalzeitung. Der Bürgermeister Thomas Schäfer fasst es so zusammen:

„Es ist sehr schade, dass das interessante und überaus erfolgreiche Projekt „Seelbach TV“ jetzt abgebrochen werden muss, obwohl wir bisher nur positive Rückmeldungen, keine einzige Beschwerde und viel Lob erhalten haben. Wir sind immer davon ausgegangen, alles rechtlich richtig zu machen und haben die Gemeinderäte und die Bürger stets gefragt, ob Sie mit einer Übertragung einverstanden sind. Im Jahr 2004 haben wir u.a. in Zusammenhang mit „Seelbach TV“ den Titel „Internetdorf 2004“ vom Land Baden-Württemberg verliehen bekommen. Die Gemeinde Seelbach wollte stets nur die Bürgerinnen und Bürger am kommunalpolitischen Willensbildungsprozess teilhaben lassen, wie dies von Politik, Bürgerschaft und Medien immer verstärkt gefordert und gewünscht ist. Das ist uns in den letzten Jahren gelungen. Wir werden nun den Landesgesetzgeber bitten, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, damit wir das bisher erfolgreiche Projekt in der Zukunft wieder aufnehmen können.“

Das stellt auch die Frage, wie es mit weiteren Projekten, z.B. am Tegernsee, weitergeht. Dort wurden erste Anfragen nach transparenter Berichterstattung bereits negativ entschieden. Anstehende Projekte in Konstanz und anderen Städten werden damit wohl erstmal auf Eis gelegt.

Hilfe für Krisenstaaten: “Expressgeld statt Euroaustritt”

von Steffen Greschner am 12. Februar 2012

Kann eine Komplementärwährung kompletten Staaten aus der Krise helfen? Das schlagen zumindest die Initiatoren der Regionalwährung “Chiemgauer” vor (PDF: Expressgeld statt Euroaustritt). Ihr Ziel ist es damit Lösungen für die aktuellen Krisenstaaten aufzuzeigen:

Umlaufbeschleunigtes und abflussgebremstes Geld könnte die nationale Wirtschaft zusätzlich antreiben – ohne neue Auslandsschulden und ohne ausländische Zuschüsse. Selbsthilfe und Selbstverantwortung des in Not geratenen Landes stünden im Vordergrund anstatt einer immer größer werdenden Abhängigkeit von aßen. Mehr Umsätze würden zu mehr Beschäftigung, weniger Handelsdefizit, weniger Sozialausgaben und mehr Steuereinnahmen führen.
Dabei ist die Grundidee: Wenn kein zusätzliches Geld in die Wirtschaft eingeführt werden kann, weil es sofort wieder abflißt durch Importe oder Geldflucht, muss man das vorhandene Geld besser nutzen, das heiflt Liquiditätsoptimierung in Ökonomensprache, oder Expressgeld in Umgangssprache.

Die Grundlagen für eine dementsprechende Komplementärwährung sind relativ einfach. Die Komplementärwährung ist 1:1 an den Euro gekoppelt. Es macht preislich also keinen Unterschied, ob in Euro oder in der jeweiligen Zweitwährung bezahlt wird. Allerdings bekommt die neue Währung einen “Turboboost” mit auf den Weg. Zwei Faktoren sind dabei entscheidend:

  1. Ein “Umlaufimpuls” (Nutzungsgebühr des Geldes). Dadurch wird der Geldfluß beschleunigt, was die Wirtschaft antreibt.
  2. Eine “Abflußbremse” (Umtauschgebühr bei Wechsel in Euro) bleibt das Geld im Land, stärkt die regionale Wirtschaft und reduziert das Handelsdefizit.

Konkret bedeutet der “Umlaufimpuls“, dass diese Komplementärwährungen an Wert verlieren, wenn sie nicht ausgegeben werden. 8% Wertverlust pro Jahr ist der Vorschlag. Geld zu horten, wird also durch einen Negativzins “bestraft”. Dieser Umlaufimpuls soll für mehr Investitionen sorgen, da man das Geld logischerweise schnell wieder loswerden will. Alternativ kann man langfristige Sparkonten mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten anlegen. Hierbei wird das Geld “geparkt” – also weder positiv noch negativ verzinst.

Die “Abflußbremse” dient als Motivation für den Inlandskonsum: Möchte man mit der Komplementärwährung zurück in den Kreislauf des Euro, wird ein Wechselgebühr in Höhe von 10% fällig. 1 Einheit entspricht als 0,90 Euro im Umtausch. Diese Gebühr wird fällig, sobald man Bargeld in Euro tauschen möchte oder Geld auf ein Euro-Konto oder ins Ausland überweist. Der Import wird also im Vergleich zu einheimischen Gütern und Dienstleistungen verteuert. Die eigene Wirtschaft im Gegenzug gestärkt.

Dass solche Modelle funktionieren haben die Initiatoren mit dem Chiemgauer bewiesen. Eine spannende Kennzahl ist dabei die Umlaufgeschwindigkeit, also die Zahl, wie oft eine Geldeinheit pro Jahr den Besitzer wechselt. Während ein Euro etwas über vier Mal pro Jahr ausgegeben wird, wechselt ein Chiemgauer dagegen über elf Mal den Besitzer. Die Wirtschaftskraft aus 100.000 Cheimgauern liegt also bei 1,1 Millionen, während 100.000 Euro nur 400.000 Euro im jeweiligen Markt umsetzen.

Für die Krisenstaaten könnte das so aussehen:

Durch den Umlaufimpuls und die Abflussbremse fallen zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe für den Staat an und hilft diesem, seine Überschuldung abzubauen. Das Schöne an diesen Gebühren ist, dass jede Bürgerin, jeder Bürger und jedes Unternehmen die Zahlung durch eine Änderung der Verhaltensweise verhindern kann. Man muss nur das Geld schnell und im Inland ausgeben oder langfristig sparen. Das macht es annehmbarer. Es ist eine Gebühr, die den Wirtschaftskreislauf nicht belastet sondern anregt!

Mit welchen zusätzlichen Einnahmen für den Staat kann man rechnen? Bei einer angenommenen Umlaufgeschwindigkeit von 10 pro Jahr wird eine Geldmenge von 20 Milliarden Euro benötigt, um ein Bruttoinlandsprodukt von 200 Milliarden zu erzeugen. (Das BIP von Griechenland war 2011 ca. 217 Mrd., von Portugal ca. 170 Mrd.). 20 Mrd. mal 8% Umlaufimpuls entspricht 1,6 Mrd. pro Jahr. Bei einer Abflussbremse in Höhe von 10% fallen bei 20 Mrd. herausgegebener Regios zwei Mrd. an. Diese stehen dem Staat sofort mit Herausgabe der Regios zur Verfügung. Da man für 100 Regio wegen der Abflussbremse nur 90 Euro erhält, ist es zur Dekkung ausreichend, wenn der Staat für 100 Regio bei der Notenbank 90 Euro hinterlegt.

Der Gedanke ist reizvoll.

Mehr Info auf regiogeld.de, eurorettung.org und chiemgauer.info. Oder im 12-seitigen PDF “Expressgeld statt Euroaustritt”

Mit Vollgas in die Aggregationsgesellschaft

von Steffen Greschner am 8. Februar 2012

Wenn Darwin recht hat, sind wir alle Tiere. Wenn das Internet recht behält, werden wir mehr und mehr zu Aggregatoren. Wir beginnen sogar damit unser Privatleben auf Facebook zu aggregieren, indem wir die wichtigsten Offline-Informationen für andere filtern, sortieren und digital zugänglich machen.

In der Tierwelt versteht man unter Aggregation übrigens folgendes:

Scheingesellschaft: eine Ansammlung von Tieren, die nicht sozial bedingt ist, sondern unabhängig voneinander durch die gleichzeitige Nutzung desselben Ortes zustande kommt, etwa eines Futter- oder Trinkplatzes, eines Schlaf- oder Überwinterungsplatzes oder eines Versteckes. In Totholz nistende Insekten z. B. sind meist Einzelgänger, auch wenn sie in großer Zahl dort vorkommen.

Aggregatoren einer Scheingesellschaft?

Bisher ist im Zusammenhang mit dem Netz meist von den Chancen für Demokratie, Wissen und soziale Vernetzung die Rede. Im sozialen Umfeld sind manchmal aber auch gegenläufige Entwicklungen zu beobachten: asoziales Verhalten durch soziale Netzwerke.

Das sieht dann so aus: Drei Menschen treffen sich zum Frühstück. Gesprochen wird nur am Rande. Jeder vertieft in sein Smartphone, dem Fenster zur sozialen Welt. Am Tisch sitzen drei Aggregatoren aus Fleisch und Blut, für das eigene soziale Netzwerk: Ort, Frühstücksteilnehmer und Gesprächsthemen werden realtime aggregiert und ins Netz gestellt. Natürlich hat jeder der drei sein riesiges (digital)soziales Umfeld immer im  Blick. Reaktionen auf Facebook, Emails, Twitter und so weiter. Das Livegespräch läuft halbherzig am Rande.

Ok, das Beispiel ist fiktiv. Aber es ist nicht unrealistisch, zumindest nicht in meinem Umfeld. Macht auch Spaß, ist aber etwas anderes, als die subjektiv immer seltener werdenden Treffen, die wirklich zu 100% offline stattfinden. Ohne Mails Checken, ohne Facebook-Update und ohne den Blick auf das parallel 24/7 mitlaufende digitale soziale Netzwerk.

Das soll keine Wertung sein und keine Unterscheidung zwischen “Gut und Böse”. Es ist schlichtweg eine persönliche Feststellung, die im Netz auffällig selten diskutiert wird.

Dass lokale Netzmedien das Zeug dazu haben einiges zu verändern, haben wir an anderer Stelle schon einmal gezeigt. Ganz generell stellt sich aber die Frage, ob diese jungen Medien auch über einen längeren Zeitraum anders in ihrem Umfeld agieren können, als das tief verwurzelte verlagsgetriebene  Zeitungen bisher getan haben. Verlagsabhängige Zeitungsangebote sind meist schon seit Jahrzehnten vor Ort und dadurch tief in Politik, Wirtschaft und Bürgerstruktur verankert. Das schafft Abhängigkeiten.

Tiefe Verwurzelung endet irgendwann im Tunnelblick

Junge und unabhängige Onlinemedien erlauben sich dagegen einen neuen Blickwinkel auf bestehende Themen. Durch unbedarftes Hinterfragen, stoßen junge Netzmedien selbst neue Themen an. Ein schönes Beispiel ist in diesem Zusammenhang eine Geschichte über “wildernde Fortsbeamte” in Oberbayern, die ein Lokalblog aufgetan hatte. In den traditionellen Zeitungen gab es dazu keine Artikel. Dass das Thema die Menschen vor Ort trotzdem extrem beschäftigt, beweisen dagegen über 120 Kommentare innerhalb weniger Tage.

Das Thema ist auf den ersten Blick recht klein. Allerdings hat es weit über den Landkreis hinaus, viele Menschen beschäftigt. Kommentare kamen aus dem ganzen Bundesgebiet. Unzählige Jagd- und Forstforen haben darauf verlinkt. Umso mehr stellt sich die Frage, warum die alteingesessene Zeitung sowohl die Demonstration, wie auch die Berichterstattung über das viel diskutierte Thema, ignoriert hat.

Können Medien überhaupt über Jahrzehnte unabhängig sein?

Ist die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen lokalen Größen, Bürgermeistern und Chefredakteuren nicht automatisch durchzogen von persönlichen Interessen, Gefallen und Gegengefallen? Hat man  als Journalist – rein menschlich gesehen – nach 10 Jahren überhaupt noch die Motivation und den Antrieb wirklich alles und jeden in seinem Umfeld journalistisch zu hinterfragen? Wird harte und berechtigte  Kritik durch jahrelange Freundschaften nicht ganz automatisch abgeschwächt?

Und wenn wir schon dabei sind und die Annahmen stimmen: Wäre es nicht viel logischer, wenn lokale Medien eine viel geringere Halbwertszeit haben? Sagen wir mal – rein hypothetisch – jede Redaktion bleibt nur 5 Jahre im Amt. Ähnlich, der Legislaturperioden. Danach kommen die nächsten. Unvoreingenommen, kritisch, hinterfragend. Dann wäre eine Zeitung ein wichtiges Korrektiv in der Kommunalpolitik. Neue Menschen stellen neue Fragen. Die Antworten auf die Fragen und das eigene Handeln müsste immer wieder neu überdacht werden.

Was lange währt, wird selten gut!

Gerade in lokalen Gebieten können Medien nur schwer über Jahrzehnte unabhängig sein. Zumindest ist das extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Zu klein ist das Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und Journalismus. Zu eng werden die Kontakte zu denen, die man eigentlich jeden Tag aufs neue kritisch hinterfragen muss. Zu faul wird der jeweilige Redakteur, der die meisten Antworten schon lange zu kennen glaubt und manchen Geschichten darum nicht mehr unvoreingenommen hinterher geht. Das ist noch nicht einmal Versagen. Es ist einfach nur menschlich und steckt in der Natur der Sache.

Das Internet bietet uns in der Hinsicht eine große Chance: Die Einstiegshürden in den Journalismus sind gefallen. Wer mit der lokalen Berichterstattung unzufrieden ist, kann sich selbst ans Werk machen. Ein Blog, zehn Euro Hostingkosten im Monat und fertig ist die lokale (Netz)Zeitung. Abgestimmt wird am Ende von den Lesern: Wer den besseren Job macht, hat mehr Leser. Wer die Leser und die lokale Aufmerksamkeit hat, bekommt die Chance auf ein Auskommen, das zum Leben reicht.

Medien sind Teil der Demokratie und deren Basis

Wenn man Medien und die darüber stattfindenen Meinungsäußerungen als wichtigen Teil der Demokratie versteht, muss man auch die Menschen in den Redaktionen als Teil der Demokratie verstehen. Jeder Einzelne sollte also den lokalen Medien mindestens genauso auf die Finger schauen, wie die Medien den Politikern auf die Finger schauen sollten. Die Möglichkeiten dazu sind größer und mächtiger, als sie es jemals waren: Kommentaren, Klickzahlen, Like-Buttons, Vernetzung der Leser untereinander und und und…

Konkurrenz belebt das Geschäft: Neue Themen brauchen neue Köpfe

Demokratie lebt davon, dass ständig neue Themen und Denkanstöße geprüft, bewertet und Diskutiert werden. Mit neuen Themen und Anregungen kann der Politik auf die Sprünge geholfen werden. Zumindest solange die jeweiligen Medien den Biss und den Horizont dazu haben. Falls der Redaktion irgendwann der Elan ausgeht, wird es Zeit für neue Konkurrenz. So kann die Debatte um gesellschaftliche Erneuerung dauerhaft am Leben gehalten werden. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für Politik und die Diskussionen darüber.

Entdecken Politiker etwa tatsächlich das soziale Netz?

von Steffen Greschner am 22. Januar 2012

Welche Chancen bietet das soziale Netz für einen gemeinsamen politischen Diskurs, bestehend aus Politikern, einzelnen Initiatoren und der Gesellschaft? Die Frage ist spannend und durch die Piraten auch immer mehr im politischen Alltag angekommen. Vor allem im Verständnis manches Politikers scheint sich in den letzten Monaten einiges geändert zu haben und hoffentlich noch weiterhin zu ändern.

Schönes Beispiel ist Sigmar Gabriel, der heute einen spannenden Beitrag auf Facebook geschrieben hat:

Seit Jahren lese ich auf den Medienseiten der Zeitungen, wie die sozialen Netzwerke den Journalismus verändern. Internet-Ignorant der ich bin, habe ich das immer für Blödsinn gehalten. Jetzt merke ich: Ich habe mich geirrt (Achtung: wird wieder lang).

Natürlich verändert Facebook den Journalismus. Nicht etwa, weil Facebook-Kommunikation immer übermäßig demokratisch wäre. Auf dieser Seite z.B. kann nur ich eigenständige Beiträge verfassen, alle anderen können nur kommentieren. Theoretisch könnte ich jeden Kommentar, der mir nicht passt, löschen (keine Sorge, tue ich nicht). Das ist die Demokratie des Leserbriefschreibens – nicht mehr.
Natürlich können Journalisten über Facebook auch tatsächliche oder vermeintliche Stimmungen in der Bevölkerung erfassen. Selbstverständlich erleichtern Soziale Netzwerke die Berichterstattung über soziale Bewegungen in Diktaturen (und manchmal sind sie sogar unverzichtbare Werkzeuge für Revolutionäre – das hat ja der arabische Frühling gezeigt).

Mir geht um etwas viel Banaleres: Erstmals verfügen Politiker wie ich mit den Sozialen Netzwerken über Kommunikationskanäle, an dem sie ein massives Eigeninteresse haben. Wenn Politiker den Medien (und damit der Öffentlichkeit) etwas mitteilen wollen, haben sie lange meist auf die gute alte Pressemitteilung gesetzt. Oder sie haben ein Zitat exklusiv an eine Zeitung gegeben, die dieses Zitat dann möglicherweise über die Nachrichtenagenturen verbreitet haben. Den Politikern war es egal, ob es abends in der Tagesschau hieß: „… sagte XY in Berlin“ oder „… sagte XY dem Musterstädter Kreisblatt“.

Inzwischen werden aber auch Facebook-Einträge in der Tagesschau zitiert. Das freut den betreffenden Politiker, denn es schafft Aufmerksamkeit für seinen Kommunikationskanal. Ärgert aber möglicherweise das Musterstädter Kreisblatt, das sonst in der Tagesschau erwähnt worden wäre.

Wir Politiker haben auf einmal ein Interesse daran, unser eigenes „Medium“ nach vorne zu schieben – im Zweifelsfall auch auf Kosten der klassischen Medien. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt. Klar ist für mich: Ich werde weiterhin „exklusiv“ auf Facebook schreiben und dabei auch auf Nutzer-Kommentare eingehen. Aber ich werde auch in Zukunft exklusive Presse-Interviews geben. Und ich werde erst dann auf Facebook Ausschnitte aus meinen Interview-Antworten einstellen, wenn die entsprechende Zeitung erschienen ist. Das ist ein Gebot der Fairness – und dafür bitte ich gleich mal bei den Facebook-Nutzern um Verständnis.

Mit dieser Offenheit und diesem Verständnis sollten eigentlich noch viel mehr an die Sache ran gehen. das ändert nicht alleine die Politik und das alleine bringt auch noch niemanden vorwärts aber es erhöht zumindest die Chance, dass durch die Auseinandersetzung jeder einzelne die Chance hat gehört zu werden und dass das “Netzdenken” endlich auch in den Parlamenten Einzug hält.

CoWorking: Ein Thema für den ländlichen Raum?

von Steffen Greschner am 16. Januar 2012

Laut einer Umfrage des Branchenverbandes BitKom aus 2010 wollen knapp 40% der Menschen teilweise oder komplett von zu Hause aus arbeiten.

Technisch ist das heute eigentlich kein Problem mehr: Schnelles Internet, Notebook, ein Schreibtisch und fertig ist das Home-Office. Und auch in ländlichen Gebieten hat man die Hürde “schnelles Netz” mehr und mehr im Griff.

Das der Trend zu flexibler Arbeit von zu Hause aus geht, zeigt auch das Beispiel Microsoft in der Schweiz: Kürzlich wurden dort die Büros aufgelöst. Gearbeitet wurde testweise im Homeoffice.

Die Möglichkeiten, die sich aus mehr Flexibilität im Arbeitsleben ergeben, betreffen nicht nur den Einzelnen, sondern erlauben eine komplett neue Organisationsform von Familie und Gesellschafft. Auch und gerade in ländlichen Gegenden. Für normal Berufstätige ist das Leben hier herausfordernd. Vor Ort sind nicht viele Jobs und die tägliche Pendelei in die nächste Großstadt kostet viel Geld, Zeit und Nerven.

Für das Privatleben bleibt für Pendler nicht mehr viel übrig. Zurück in klassische Rollenbilder – der Mann im Büro, die Frau bei der Familie – wollen aber gerade junge Paare nicht und können es oft auch nicht, da beide Elternteile berufstätig sind. In der Schweiz wird das Thema inzwischen stärker diskutiert, als bei uns noch:

Das Selbstverständnis eines jungen Menschen oder eines Paares ist heute ein verändertes.  Die frühere traditionelle Rollenteilung entspricht nicht mehr den Lebensvorstellungen einer sehr grossen Mehrheit der jungen Generation. Ihre Vorstellungen von Partnerschaft, Teilhabe am Familienleben, Alltagsgestaltung und der Erziehung sind Früchte der verbesserten Ausbildung der jungen Erwachsenen.

So tragen heute in 75% aller Familien beide Elternteile mit ihrer Erwerbstätigkeit zur wirtschaftlichen Sicherheit der Familie bei. Diese Familien passen sich den Anforderungen einer globaltägigen Wirtschaft an und sind mit neuen Zeit- und Arbeitsmustern in einer mobilen Arbeitswelt konfrontiert.

Sie stellen aber gleichzeitig fest, dass die Schule und die Gesellschaft hinterher hinken. Als Stichworte seien hier lediglich die Schulzeiten, die fehlenden Tagesschulen und fehlenden Betreuungsinstitutionen erwähnt. Nach wie vor werden die Alltagsrealitäten der arbeitnehmenden Eltern verkannt.

Es wird in Zukunft nicht mehr reichen, nur geförderte Wohnungen und Bauplätze für Familien anzubieten. Man sollte sich auch Gedanken machen, wie Arbeit in ländlichen Gebieten besser organisiert werden kann.

Quelle: Deskmag

Nicht jeder kann oder will von zu Hause aus arbeiten. Einige Firmen erkennen den Trend und bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit in CoWorking-Spaces in der Nähe des Wohnortes zu arbeiten. Ein CoWorking-Space ist eine Art WG für Berufstätige, die sich in vielen deutschen Städten im letzten Jahr etabliert haben:

Ein Coworking Space bietet Arbeitsplätze, Internet, Küche, Meetingräume, oft auch private Büros, einen Loungebereich, Bürogeräte, weitere Infrastruktur und mehr.

Coworking Spaces sind oft auch eine Alternative für Gründer oder eine neue Generation von “Freiangestellten”, die eine Alternative zur Arbeit in Cafés oder der Isolation im Homeoffice suchen.

In einigen CoWorking-Spaces teilen sich die Kunden beispielsweise einen Steuerberater, der zu festen Terminen und günstigen Preisen Beratung vor Ort anbietet oder bauen eine gemeinsame Kinderbetreuung auf.

Mehr Informationen gibt es beim Branchenmagazin Deskmag, das sich kürzlich auch die besonderen Herausforderungen von CoWorking-Spaces auf dem Land angeschaut hatten:

Coworking in Kleinstädten funktioniert etwas anders als in großen, anonymeren Orten. Ausgehend von den Ergebnissen der letzten Woche sprachen wir mit vier Betreibern von Coworking Spaces in kleineren Ortschaften über die Unterschiede. Ihre Mitglieder benötigen die neuen Arbeitsräume seltener, weil sie häufig weiter wegwohnen, zu Hause mehr Räume besitzen und generell in einem dichteren sozialen Netzwerk leben. Allerdings bieten sie gerade auch deshalb für die berufliche Arbeit mehr Abwechslung und wegen der heterogeneren Alterstruktur bestehen für die Mitglieder besonders gute Möglichkeiten, voneinander zu lernen.

CoWorking wächst momentan vor allem in Städten. Die fast größeren Chancen bietet es aber vielleicht sogar auf dem Land.

Die Debatten um ein Bedingungsloses Grundeinkommen kommen immer mehr in der breiten Gesellschaft an. Heute Abend lief im NDR-Radio ein sehr ausführlicher Beitrag dazu:

Kein Mensch soll hierzulande hungern müssen. Wer selbst für sein Einkommen nicht sorgen kann, der hat Anspruch auf Hilfe. Doch um den Anspruch zu prüfen, setzt sich eine gewaltige Bürokratiemaschine in Bewegung. Das muss nicht sein, argumentieren die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Ihnen schwebt ein Modell vor, bei dem jeder Bürger einen Sockelbetrag zur Existenzsicherung bekommt.

Ist das finanzierbar? Wäre das Grundeinkommen für alle gerechter und sozialer? Wie stehen die Chancen auf Realisierung der Idee?

Gäste sind die üblichen Verdächtigen, Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Armutsforscher, Politikwissenschaftler an der Universität Köln und Prof. Götz Werner, Gründer von dm-drogerie markt und Initiator des Netzwerkes “Unternimm die Zukunft“.

Die Debatte ist stellenweise sehr hitzig und spiegelt wohl die gesellschaftliche Debatte über das kontroverse Thema gut wieder.

Bürgerbeteiligung: Crowdfunding für kommunale Projekte

von Steffen Greschner am 3. Januar 2012

Zur Finanzierung von StartUps hat sich Crowdfunding im letzten viertel Jahr in Deutschland bei ersten Pilotprojekten erfolgreich durchgesetzt und auch den ersten Kinofilme wurden schon öffentlichkeitswirksam finanziert.

Im Crowdfunding, der Finanzierung von Projekten durch viele verschiedene, kleine private Kreditgeber, liegt aber auch im gesellschaftlichen Umfeld viel Potential. LeihDeinerStadtGeld, ein Mainzer Unternehmen, versucht das Modell seit einigen Monaten auf Bürgerbeteiligung in der Kommunalfinazierung anzuwenden:

Kommunen und kommunale Unternehmen beschreiten gemeinsam neue Wege in der Kommunalfinanzierung und binden ihre Bürger schnell und einfach bei regionalen Projekten ein. So kann einerseits die Zinslast kommunaler Haushalte zukünftig gesenkt und andererseits die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gezielt ausgebaut werden.

Gerade die tiefe Einbindung der Bevölkerung in die finanzierten Projekte kann auf lokaler Ebene für einen ganz anderen Rückhalt sorgen. Auf der anderen Seite wird eine Kommune aber nur dann private Geldgeber aus der Bevölkerung bekommen, wenn sie transparent arbeitet und das jeweilige Projekt auch die nötige Unterstützung genießt.

Die Zinsen, die für die Kredite gezahlt werden, bewegen sich auf Festgeld-Niveau. Für die Kredite gebenden Bürger ist das Prinzip extrem risikoarm, da Kommunen faktisch nicht Insolvenz gehen können:

Sollte die Kommune trotz aller Sicherungsmaßnahmen langfristig ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können, so sichern bestehende Finanztransfersysteme finanzielle Zuweisungen von Bund und Ländern zur Deckung der Zahlungsverpflichtungen der Kommunen.

Spannend ist das Konzept vor allem, wenn man es als eine Übungs- oder Zwischenstufe zu Commons, also gesellschaftlichen Allgemeingütern, versteht.