Grundeinkommen auf dem Weg zum Mainstream

von Steffen Greschner am 26. September 2011

Durch die Veränderungen im Berliner Parlament hat das Thema Grundeinkommen in der letzten Woche einen gewaltigen Schub in den Mainstream-Medien bekommen.

Inzwischen gibt es immer mehr Unterstützer, die nicht zwangsläufig aus dem sozialen Umfeld kommen. Bestes Beispiel ist Ex-UBS-Chefökonom Klaus Wellershof, der im Tagesanzeiger auf ein Grundeinkommen in der Schweiz eingeht:

Diese hätte den Vorteil, dass wir all die anderen komplizierten Sozialversicherungen aufheben könnten, die niemand mehr versteht und daher gerade jene benachteiligen, denen unsere Solidarität gelten sollte.

Wellershof spricht auch von den Größenordnungen, die das Schweizer System hergibt:

Es wäre sicher nicht so hoch, wie sich das die Initianten dieser Vorlage vorstellen. In einer direkten Demokratie wird es kaum eine Mehrheit für eine Steuererhöhung geben, also müsste dafür jener Betrag verwendet werden, der heute den Sozialversicherungen zukommt. (…) Vielleicht 1500 Franken im Monat, sicher nicht 2500.

Etwas unter dem Radar der Öffentlichkeit stand dagegen die letzte Woche für einige Initiativen unter dem Motto “Woche des Grundeinkommens“. Daraus werden sicher noch einige spannende Analysen und Berichte entstehen.

Technik für alle: Berlinwahl pusht Ingenieursdenke 2.0

von Steffen Greschner am 23. September 2011

Durch den Erfolg in Berlin rückt ein Thema ins Bewusstsein: Wie kann “neue Politik” und Transparenz aussehen. Ein angenehm unaufgeregtes Interview zu Piraten und “Technik als Gesellschaftsthema” mit dem Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung an der Universität Wuppertal ist im Branchenblog der Ingenieure erschienen:

Es gibt ein deutliches Umdenken innerhalb der Bevölkerung, weil man über Informationen und Fachwissen verfügt, um Entscheidungen beeinflussen und mittreffen zu können. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in den Parlamenten nicht zwangsläufig größeres Fachwissen versammelt ist. Mit dem Wissen um alternative Lösungen möchte man der Politik das Feld daher nicht mehr allein überlassen und Entscheidungen nicht mehr allein einer alten ideologischen Frontsetzung anvertrauen.

Da der Diskurs in Zukunft nicht nur in den Parlamenten stattfinden kann, sorgt das auch bei Branchenverbänden für ein Überdenken der eigenen Rolle innerhalb einer pluralen Gesellschaft:

Das schafft für Ingenieure und Naturwissenschaftler völlig neue Herausforderungen, weil nicht mehr nur die unmittelbaren Entscheidungsinstitutionen Ansprechpartner sind, sondern weil engagierte und technisch interessierte Bürger nach Alternativen verlangen, die als Grundlage politischer Entscheidungen dienen.

Die vieldiskutierte Einordnung in traditionelle links, rechts, mitte Ausrichtung spielt dabei keine Rolle. Die Wählerschaft ist vielmehr Teil einer neuen Polit-Generation mit einem neuen Weltbild, das nicht von tradierten politischen Richtungen geprägt ist:

Was sie fordert, ist ein neues Paradigma von Politik: mehr Transparenz und eine “andere Politik”, ein anderer Politikstil. Das scheint zunächst wenig aussagekräftig. Dahinter verbirgt sich die Suche nach einer Alternative zum herrschenden Politikdiskurs.

In Stuttgart ist schon jetzt zu sehen, was damit gemeint ist: Eine ganze Stadt hat sich in den letzten Jahren ein Wissen zu Gleisvorfeldern, Stellwerken, Tunnelbau und Zugtaktungen angeeignet, das wahrscheinlich einmalig sein dürfte. Anders sind zumindest Rekordquoten von trockenen Ingenieursvorträgen im TV nicht zu erklären.

Im offenen Piratenprogramm liegt die große Chance

von Steffen Greschner am 22. September 2011

Was ist dran am fehlenden Programm? Der Freitag hat eine spannende Analyse geschrieben und kommt zu dem Schluss, dass das fehlende Programm der Piraten schon Teil des Programms ist:

Schließlich geht es ja gerade darum, den Bürgern die Macht über die Programme von Parteien zurückzugeben, anstatt ihnen etwas Fertiges vorzusetzen. Entscheidend sei eher, den politischen Prozessen an sich ein Update zu verpassen. Die Piraten wollen die Politik auf das zurückführen, was sie heute oft nur noch dem Namen nach ist: demokratisch, offen, mitgestaltet von dem Wissen, den Erfahrungen und Argumenten ihrer Bürger.

Der Weg dorthin ist die eigentliche Chance, die sich durch die Piraten bietet. Wie ein erster Ansatz von Teilhabe aussieht, schreibt der Freitag auch:

Auf der Webseite der Piraten, kann jeder – ob Parteimitglied oder nicht – einen Antrag stellen, der dann im Netz verbindlich entschieden wird. „Wir werden auch unsere Arbeit in der Fraktion nach den Ergebnissen dieser Debatten ausrichten“, versprechen die Abgeordneten.

Wenn es dem jungen Team gelingt, in den nächsten Jahren Methoden und Möglichkeiten zu entwickeln, wie eine moderne Teilhabe an Politik aussehen kann, ist das der eigentliche Gewinn.

Stuttgart vs. Berlin: Der Erfolg der bewegten Mitte

von Steffen Greschner am 22. September 2011

Seit Sonntag 18:01 Uhr diskutieren die Analysten eine große Frage: Wer sind die 120.000 Menschen, die in Berlin für ein Aha-Erlebnis sorgten? Und wichtiger noch: Was wollen die eigentlich?

Oft ist von der Protestpartei die Rede, von enttäuschten Wählern, die sich von den Volksparteien digital verlassen fühlen oder von der Partei von und für Nerds.

Dass das zu kurz greift, versucht Sascha Lobo auf SPON zu erklären (“Die Piraten sprechen einfach so mit ihren Wählern, wie das normale Menschen im Alltag auch tun.“):

Die anderen Parteien können und müssen von den Piraten lernen, nicht nur Netzpolitik zu machen, sondern auch Politik mit dem Netz. Und das heißt, sich ohne Anbiederung auf die Sprache des Internets einzulassen – die entgegen des kulturkritischen Vorurteils ungefähr der Sprache des normalen Alltags entspricht.

Genau diese neue Sprache und eine neue Ehrlichkeit ist es, was sich die bewegte Mitte von den Piraten erhofft. Es geht weniger um Netzpolitik, sondern um das Auftreten einer New-Polit-Generation, die sich in Baden-Württemberg Grün statt Orange geäußert hat.

Was in Berlin einer jungen Piratenbewegung entspringt, pusht in Stuttgart eine konservative Rentner-Elite. Der schwäbische Schlachtruf “Lügenpack” gilt nicht nur den verschwiegenen Kosten eines Bahnhofsbaus, sondern der Politik allgemein:

Und das ist das, was wirklich hinter Stuttgart 21 steckt: Es ist die große Möglichkeit für das Volk, gnadenlos den Politikern, Managern und sonstigen sogenannten Führungskräften vor Augen zu führen, dass sie erzählen können was sie wollen – dass ihnen aber keiner mehr glaubt.

Die Piraten bieten vielleicht noch nicht zu 100% das Programm, was sich die Wähler der bewegten Mitte wünschen. Aber sie bieten einen neuen Politikstil, der Themen neu denkt und ehrlich und transparent einen wachsenden Teil der Gesellschaft anspricht.

Chef, aufgepasst! Suche Sinn und Verwirklichung

von Steffen Greschner am 21. September 2011

Während manche probieren das Internet rückzubauen, versuchen andere die gewonnenen Möglichkeiten in Wissen und Kreativität umzuwandeln und verkrustete Arbeitseinstellungen aufzubrechen:

Doch genau hier liegt das Problem, denn in den meisten Unternehmen gibt es keinen Raum für freies Denken und Experimentieren. Arbeitspakete werden nach mehr oder minder strengen Prozessen abgearbeitet.

Die moderne Arbeitswelt muss mehr bieten: Raum für freies Denken und Experimentieren (“Bunte Vögel fliegen höher”). Die Generation Y steht in den Startlöchern und hat neue Ansprüche an Arbeit und Leben:

Sie erwarten eine andere Art der Führung, Entwicklungs- und Selbstverwirklichungs-möglichkeiten und sinnstiftende Tätigkeiten. Zudem legen sie Wert auf Transparenz, eine technische Ausstattung, wie sie sie aus dem Privaten gewöhnt sind, und Work-Life-Balance.

Wer selbst noch auf der Suche nach dem richtigen Sinn ist, dem gibt vielleicht eine Kündigung den richtigen push (“So macht scheitern erst richtig Spaß”).

Initiative S: Stuttgart etabliert Volksversammlungen

von Steffen Greschner am 20. September 2011

In Stuttgart wird politischen Teilhabe inzwischen sehr aktiv betrieben. Unter dem Motto “Wir reden mit” hat sich eine Initiative gebildet, die das Demokratie-Experiment weiter voran treiben will (PDF):

„Wir reden mit!“ heißt die neue Form, Bürgerwillen zu artikulieren. Sie soll künftig als „Volksversammlung auf dem Marktplatz“ durchgeführt werden. Sie wird vom Verein „Leben in Stuttgart“ ins Leben gerufen. „In Stuttgart soll eine neue politische Kultur entstehen“.

Stuttgart ist inzwischen zum großen Versuchsfeld direkter Demokratie geworden: Bürgerhaushalte, Schlichtungen, öffentliche Gutachterdebatten. Auf der “Volksversammlung” haben sich neben Ministerpräsident Kretschmann auch schon andere Minister gezeigt und angekündigt.

Andere Initiativen suchen nach neuen Formen der Berichterstattung und so gibt es von der letzten aufgeheizten Volksversammlung mit Oberbürgermeister Schuster einen Videomitschnitt:

Wir reden mit Schuster from fluegel.tv on Vimeo.

So denkt und lebt die bewegte Mitte

von Steffen Greschner am 19. September 2011

Das ein Teil der Gesellschaft neue Wege einschlägt, ist am letzten Wochenende auch den etablierten Parteien klar geworden. Wie diese bewegte Mitte lebt, denkt und sich ein selbstbestimmtes Leben organisiert, zeigt ein Projekt am Beispiel der Kreativwirtschaft:

KollWi ist ein frei zugängliches Info-Tool, das Geschichten aus der Wirklichkeit der Kreativwirtschaft sammelt und aufbereitet. Etwa 100 Selbständige und UnternehmerInnen erzählen aus ihrem Berufsalltag und teilen dabei auch Geheimnisse mit. KollWi ist eine Einladung zum Schmökern, mit der Zusage, dass auch für dich interessante Fundstücke dabei sind.

Die Themen der sehr lesenswerten Interviews reichen von Lebensführung, bis zu Organisation oder Erfahrungen mit Co-Working-Spaces. Ohne Wertung  und ohne statistische Erhebungen oder tiefgründige Analysen treffen die Aussagen den Puls der Zeit so oft am besten:

Ich könnte mir gar nicht vorstellen, einen Beruf zu haben, den ich ausübe und ein Privatleben zu haben, das nichts damit zu tun hat. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich würde glauben, dass mein Leben nur noch aus diesen acht oder zwölf Stunden besteht, die ich nicht am Arbeitsplatz bin. So stell ich mir das vor, und ich hab das Gefühl, dass ich 24 Stunden lebe und nicht 24 Stunden arbeite.

Mehr Info gibt es direkt auf Kollwi.at oder bei den Initiatoren des Projektes.

Die bewegte Mitte erobert die ersten Parlamente

von Jochen Krisch am 18. September 2011

Die pluralistische Gesellschaft stellt die etablierten Parteien vor zunehmende Herausforderungen und bietet Chancen für neue Parteien und Bewegungen, die durchlässiger sind und näher am Puls der Zeit agieren können.

Brandeins_bewegtemitte

Wohin entwickelt sich die Gesellschaft? – “Die bewegte Mitte” nannte brand eins unlängst seinen Schwerpunkt zum gesellschaftlichen Wandel (“Mittendurch nach vorn”) und beschrieb, “was die neue Gesellschaft will”:

“Die alte Mitte war dort, wo alle dabei sein konnten. Der neuen Mitte reicht das nicht. Sie liegt dort, wo Menschen ihr eigenes Ding machen.”

Als “der Zukunft zugewandt” charakterisiert brand eins diese so schwer fassbare und ungewohnt aufmüpfige “Mitte” und lässt sich das Phänomen wie folgt erklären:

“Neu ist sie im Vergleich zur hierarchie- und traditionsorientierten Mitte. Während die einen am Bewährten und Erreichten festhalten, machen sich die anderen den beständigen Wandel zu eigen.”

Bei [x Politics] wollen wir diesem gesellschaftspolitischen Phänomen nachspüren, das in anderen Ländern unter dem Label “grünliberal” läuft.

Frauen pushen “Arbeit frei von Zeit und Raum”

von Steffen Greschner am 14. September 2011

“Moderne Zeiten – Arbeiten frei von Zeit und Raum” – Unter diesem Motto haben sich interessierte Unternehmer in Lübeck getroffen. Initiatoren für den Gedankenaustausch waren engagierte Frauen, die sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Freizeit und Arbeit einsetzen. Es geht ihnen dabei vor allem um die Rückgewinnung der eigenen Zeiteinteilung:

Wir müssen anfangen, über Arbeitszeitflexibilisierung hinaus zu denken und die Ergebnisse der Arbeit in den Fokus zu stellen. Arbeitszeit und -ort werden in Zukunft eine immer kleinere Rolle spielen. Wenn wir den Menschen die Kontrolle über ihre Zeit zurückgeben, leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, steigern die Lebensqualität der Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen.

Auch die anwesenden Experten sahen ebenfalls Trends voraus, in denen es darum geht, die persönlichen Bedürfnisse mit beruflicher Entfaltung und Selbstorganisation zu vereinen:

Das künftige Freizeitverhalten ist gekennzeichnet durch die Kombination verschiedener Aktivitäten zur gleichen Zeit, Zeiteffizienz sowie dem Wunsch etwas erleben zu wollen. Zudem ist eine zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu erwarten.

Wie solche Wege schon heute aussehen können, hat die Berner Zeitung in einem Portrait über selbstständig arbeitende Familien skizziert (“ohne Frauen läuft in Firmen nichts”).

Baden-Württemberg goes Open-Government

von Steffen Greschner am 11. September 2011

Nach Schweizer Vorbild zeigt auch die Landesregierung Baden-Württemberg ihre Bereitschaft in Richtung Open-Data und neu verstandener Teilhabe der Bevölkerung zu gehen. Ab morgen wird die Landesregierung unter @RegierungBW einen eigenen Twitter-Kanal befüllen.

Gespannt sein darf man dabei, wie die Ankündigung mit Interessierten über den Rückkanal in direkten Austausch treten zu wollen, in der Realität umgesetzt wird:

“Die Chance ist, dass wir wegkommen von der Einwegkommunikation von oben nach unten”, sagt Berner. Soll heißen: Der Internetnutzer ruft die Seite der Landesregierung auf, liest die Texte dort und klickt zur nächsten Seite. “Wir müssen zu einem echten Dialog von Internetnutzern und Politikern kommen.”

Wie das Facebook-Profil von MP Winfried Kretschmann wird auch der Twitter-Account vom Online-Berater der Landesregierung gefüttert, wie die Stuttgarter Zeitung schreibt:

Die Kommunikations-Experten betreuen schon seit längerer Zeit einen eigenen Kanal auf der Videoplattform Youtube, außerdem pflegen sie das Facebook-Profil des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Mit Erfolg: 5000 Fans hat die Seite mittlerweile. Über das Profil erfahren die Nutzer, wo Winfried Kretschmann gerade geschäftlich unterwegs ist, wem er Interviews gibt und in welchen Talkshows er auftritt.